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01 - Schatten der Könige

01 - Schatten der Könige

Titel: 01 - Schatten der Könige
Autoren: Michael Cobley
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schwankte, und sie wusste, dass ihr nur noch eines zu tun blieb. Als die Ecke des Turmes langsam abbrach, raffte sie ihre letzten Kräfte zusammen und schleuderte das Kristallauge zu den beiden Gestalten hinüber, die sie von der Rückseite des Turms beobachteten. Im nächsten Moment stürzte sie in einem Regen von Mauerwerk in die Tiefe. Über ihr verschluckte der Spalt Orgraaleshenoth, dessen wutentbranntes Brüllen schlagartig verstummte, als sich die Lücke schloss.
    Suviel ließ die Lider sinken und stellte sich Ikarno Mazaret vor, der die Arme weit ausbreitete und ihr mit einem freudigen Ausdruck auf dem geliebten Gesicht entgegensah. Sie erwiderte das Lächeln… Ein scharfer, schrecklicher Moment des Schmerzes durchzuckte sie, dann fiel die Tür des Lebens hinter ihr zu.
    Keren schrie vor Entsetzen auf, als die Ecke des Turmes abbrach. Sie und das Spiegelkind Nerek lagen auf den Knien und hielten sich noch immer umschlungen, doch all der verschwommene Hass und die Gier nach dem Leben der anderen waren verschwunden. Während ihrer todbringenden Umklammerung hatten sie sich lange in die Augen geblickt und erkannt, dass sie beide leben wollten. Dieser Moment verwandelte Furcht in Verständnis, und Abscheu in Offenbarung. Kerens Sehnsucht nach der Macht und Gestalt der Dämonenbrut löste sich wie ein unfertiger Traum auf.
    In einem Moment vollständiger Klarheit beobachtete sie, wie Suviel ihrem sicheren Tod entgegenstürzte. Eine schreckliche Schuld legte sich lastend auf sie. Keren schloss die Augen, schluchzte erstickt und hielt sich an ihrem Spiegelbild fest. Etwas fiel auf den Boden neben ihr, und als das Dröhnen des zusammenbrechenden Mauerwerks verklang, spürte sie, wie Nerek sich bewegte. »Öffne deine Augen.«
    Das konnte sie nicht, noch nicht…
    »Öffne die Augen …!« Jemand rüttelte an ihren Schultern. »Schlag sie auf, und sieh mich an!« Erschreckt gehorchte sie und starrte in ihr eigenes Gesicht, das nur ein wenig schmaler und grausamer war.
    »Sie hat das Kristallauge in unsere Obhut gegeben«, sagte Nerek und umfasste Kerens Hand mit einem eisernen Griff. »Wir müssen es benutzen, bevor die Akolythen sich bis zu uns durchgegraben haben.« Dann führte sie Kerens Hand nach unten und legte sie auf die kalte, geschwungene Oberfläche des Auges.
    Ihre Sicht verschleierte sich durch einen geisterhaften blauen Nebel, durch den merkwürdige Gesichter und Zeichen zu ihr drangen.
Hier entlang,
sang eine Stimme durch diesen Schleier, und sie erhaschte einen Blick auf eine lächelnde Suviel, die winkte und deutete.
Hier entlang.
Alle Furcht war vergessen, und sie beugte sich vor. Nerek atmete scharf ein, als sie von Bildern umhüllt wurde, deren Bedeutungen für sie unverständlich blieben.
    Dann war sie wieder frei, und Keren fand sich kniend und zitternd auf einem rußgeschwärzten, Ascheüberzogenen Boden neben einem gähnenden Riss in einer Wand wieder. Neben ihr stand Nerek. Sie blickte hoch und rang nach Luft, als sie die gewaltige, goldene Gestalt sah, die vor ihnen beiden aufragte.
    Wo ist die Magierin Suviel?
    Das riesige Wesen schien aus einem feinen, wirbelnden Staub von gelben und kupferfarbenen Funken zu bestehen, und ähnelte entfernt einer weiblichen Gestalt. Doch Kerens Aufmerksamkeit wurde sofort von dem Mädchen angezogen, das mit geschlossenen Augen reglos in dem gigantischen Torso hing. Dann kam noch jemand anderes in Sicht, ein älterer Mann in schmutziger Reisekleidung. Der Erzmagier Bardow.
    Also, wo ist sie? Ist sie tot?
    »Ja«, flüsterte Keren. »Ja, sie ist tot.«
    Die unerbittlichen goldenen Augen betrachteten sie einen Moment.
    Gut. Alles ist, wie es sein soll.
    Keren sah, wie Bardows Gesicht vor Schreck und Gram förmlich einfiel. Das große Wesen wandte sich ab, als wollte es in den Saal zurückgehen, doch dann verschmolz es mit den Schatten. Während der goldene Nebel ihrer Gestalt sich in einen feinen Rauch auflöste, sank das Mädchen aus ihrer Mitte sanft zu Boden. Bardow eilte zu ihr.
    Keren saß einfach nur da, Nereks tröstende Hand auf ihrer Schulter. Sie blickte über den Rand des zerstörten Turmes und sah eine Stadt, Hügel und in der Ferne Felder, und wurde von einer dumpfen, tränenlosen Erleichterung durchströmt.
    Endlich graute der Morgen.

EPILOG
    Auf einem Ozean aus Tod,
kommen die Schiffe des Schmerzes näher.
    DIE SCHWARZE SAGA VON CULRI MOAL, xvi, 10
    Nach einem anstrengenden Ritt über Felder, die von den blutigen Überresten der Schlacht
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