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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
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wenn der kleine Otto heranwuchs, würde es auch keinen Grund geben, um seine Unschuld zu fürchten. Kräftig und gesund war die Josepha, dazu ehrlich, bescheiden, fleißig und fromm. Sie beklagte sich selten und stellte keine Ansprüche beim Essen. Dies alles war der Referenz zu entnehmen, die sie den Sternbergs vorlegte und die auf einer eng beschriebenen Seite bekundete, Fräulein Josepha Walburga Krause wäre ein überaus treues Dienstmädchen gewesen, von dem »man sich nur ungern« trenne. Sie hatte über fünf Jahre in einem Arzthaushalt auf der vornehmen Forsthausstraße im Frankfurter Stadtteil Sachsenhausen gearbeitet. Als sie sich vorstellte, erzählte sie, sie hätte »bei Doktors«, die sich zu ihrem Kummer an die Bergstraße zurückgezogen hatten, sehr oft die gallenkranke Köchin vertreten und so umfassende Kenntnisse in der feinen Küche erworben. Backen, Obst und Gemüse einwecken, Pflaumenmus kochen und Hühner rupfen könne sie auch. »Der Herr Doktor«, plauderte sie schon am zweiten Tag im Hause Sternberg aus, »war ein Vielfraß. Für meinen Schweinebraten hätte der die eigene Mutter verkauft.«
    »Das wird Ihnen hier nicht passieren«, beschied ihr Frau Betsy, »wir sind jüdisch und essen kein Schweinefleisch.«
    Josepha war erstaunt, jedoch flexibel und gutmütig. Sie nahm keinen Anstoß. »Macht nichts«, entschied sie, »ihr seid’s ja auch Menschen.«
    Maria, die Magd mit den zwei linken Händen, stammte aus dem Vogelsberg. In der alten Wohnung hatte sie auf einer Matratze in der Küche geschlafen und sich im Putzeimer gewaschen; sie war absolut darauf eingestellt gewesen, nach Sternbergs Umzug entlassen zu werden. Als sie erfuhr, dass sie mit in die Rothschildallee ziehen und gar eine eigene Kammer bewohnen sollte, war sie überwältigt. Einen halben Tag lang konnte sie nicht mehr als »Ja« und »Nein« sagen. Ihr Mittagessen rührte sie kaum an, obgleich es Linsensuppe gab, die sie besonders gern aß, und zweimal hatte sie Nasenbluten. Das Mädchen mit Zöpfen dick und lang wie die von Rapunzel, war das uneheliche Kind einer Bauernmagd und entsprechend knapp vom Leben bedacht worden. Mit der Aussicht auf eine eigene Stube fühlte sich Maria wie die Prinzessin, die sie einmal in Klein Ottos Märchenbuch gesehen hatte. Fortan träumte sie allerdings nicht mehr von Gold und Geschmeide, sondern von der Ehe mit einem gewissen Werner Hasslinger und einer Wohnküche mit fließendem Wasser. Seit sechs Monaten wurde Maria nämlich an ihren freien Sonntagnachmittagen von Wachtmeister Werner zum Tanzen abgeholt und neuerdings vor Verlassen des Hauses von ihrer schwangeren Dienstherrin streng ermahnt, sich »bloß kein Kind andrehen zu lassen«.
    Betsy Sternberg, als Bertha Luise Strauß geboren, neigte nicht oft zu den Ausdrücken, die dem Klassenbewusstsein ihrer Zeit und Gesellschaftsklasse entsprachen. Sie war weder arrogant noch dominant, und sie scheute es, mehr Aufmerksamkeit als nötig zu erregen. Frau Betsy wehrte sich gegen schnelles Lob und oberflächliche Schmeicheleien. Rücksichtnahmen, die ausschließlich ihrem Geschlecht galten, waren ihr nicht genehm. Das änderte sich noch nicht einmal in ihren Schwangerschaften. Gerade in der Zeit der Erwartung war die Hausherrin von auffallend guter Kondition und in bester Laune, tatenfroh und entschlussfreudig.
    Betsy war die älteste Tochter des früh verwitweten Preziosenhändlers und Juweliers Siegfried Strauß aus Pforzheim. Er hatte das Mädchen einwandfrei erzogen, allerdings, wie man sich erzählte, ziemlich frei. Zum Befremden der Verwandtschaft hatte Vater Siegfried seine gescheite Tochter angehalten, sich nicht nur manuell zu beschäftigen, sondern sich auch geistig zu entwickeln. Betsy spielte gut Geige und ordentlich Klavier. Sie las jedes Buch über Musik, das ihr Lehrer ihr brachte, rezitierte bei Familienfesten Gedichte von Eichendorff und manch lange Ballade von Schiller. »Und malen tut sie wie Rembrandt«, schwärmte der Großvater.
    Dank ihm konnte seine Enkeltochter bereits mit acht Jahren fließend Hebräisch lesen. Von der Großmutter lernte die Zwölfjährige, für den Sabbatabend den traditionellen Mohnzopf zu backen. Französisch parlierte »Straußens Betsy« besser als die vielen Anbeter, die um sie warben. Sie hatte einen Sinn für die Relativität des Lebens und einen analytischen Verstand, der sie davor bewahrte, Ursache und Wirkung zu verwechseln. So war ihr als Ehefrau allzeit bewusst, dass sie den Glanz, der
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