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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
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Kittelschürze schüttelte den Kopf und ächzte: »So viel Zeugs möchte ich auch mal haben.«
    »Donnerwetter«, sagte der kleine Otto.
    »So«, rügte der Vater, den es zu neuen Ufern zog, »spricht nur ein Kutscher, mein Sohn.«
    »Ich will Kutscher werden.«
    »Ich will hat ein Kind nicht zu sagen.«
    Das Oberhaupt der kleinen Familie Sternberg hatte sich ungewöhnlich früh seinen Traum von Ehre und Wohlstand erfüllt. Zum Teil verdankte er dies einer zum Zeitpunkt des Geschehens absolut noch nicht erwarteten Zuwendung von seiner Großtante Luise. Der taktlosen Hermine liebenswerte Schwester war eine vermögende und kinderlose Witwe. Vor allem war sie der ungewöhnlichen Ansicht, Besitz bringe Sorgen. »Es ist«, sagte sie in Johann Isidors Glücksstunde, »schöner, mit warmen als mit kalten Händen zu geben.«
    Im Gegensatz zu seinem Bruder Samy und seinen drei Schwestern, die schon als junge Mädchen altjüngferlich wirkten und die ebenso missgünstig wie nachtragend waren, erschien Luise ihr Lieblingsneffe furchtlos, aufrichtig und klug. Die Erbtante bedachte ihn so reichlich, als wäre er der eigene Sohn. Seitdem verbrachte sie die hohen jüdischen Feiertage und ihre Geburtstage nicht mehr mit ihrem Mops und einer Migräne zu Hause in Kassel, sondern kerngesund und quietschfidel bei Johann und seiner kleinen Familie in Frankfurt. »Mainwasser«, pflegte sie bei jedem Abschied zu sagen, »ist wirklich Medizin für eine verrückte alte Schachtel.«
    »Und Ebbelwein«, wusste Otto. Er hatte zu seinem Kinderdrang zur Wahrheit ein ebenso aufmerksames Auge wie sein Vater entwickelt.
    Johann Isidor hatte nicht den Charakter, es sich auf Kosten einer reichen alten Dame bequem zu machen. Er war fleißig, energisch und wagemutig, nur zufrieden, wenn er neue Ideen entwickelte, und besessen von seinem Aufstieg. Selbst am Freitagabend, den er trotz aller Assimilationsbestrebungen auf die traditionelle Art seiner Vorfahren ehrte, und auch an den übrigen religiösen Feiertagen kam er nicht zur Ruhe. Wenn er mit seinem Sohn zur Synagoge an der Friedberger Anlage spazierte und er dort allen Grund gehabt hätte, für das zu danken, was ihm beschieden worden war, grübelte er, welche Ziele er noch erreichen wollte.
    Der Tuchhändler Sternberg war ein geschickter Schmied seines Schicksals. Stets hatte er mehrere Eisen im Feuer, beobachtete aufmerksam die Börse und wusste nicht nur dort im richtigen Moment zuzugreifen. In einem neu erbauten Haus eröffnete er ein Geschäft für Kurzwaren, Knöpfe und Posamente in der Hasengasse. Sie galt als kommende Gegend und war im Falle der Posamenterie Sternberg noch besser als ihr Ruf. Zu den Kundinnen gehörten die Damen der besten Gesellschaft, Beamtengattinnen und Gouvernanten, Schneiderinnen aller Provenienz und manch ein bescheidenes Fräulein, das sein Geld zusammenhielt und einen Sinn für das Besondere hatte. Schon nach einem Vierteljahr musste der Chef eine zweite Verkaufskraft und einen Lehrjungen einstellen.
    »Was hältst du von einem Hutgeschäft?«, fragte er seine Frau eines Tages beim Abendessen.
    »Wo ist denn eins zu haben?«
    »Keine Ahnung, aber Hüte trägt man immer.«
    »Nach der Theorie kannst du auch Uniformschneider werden«, befand die skeptische Gattin. »Kriege wird es auch immer geben.«
    Hutgeschäfte überließ er dann doch den Putzmacherinnen, doch wurde die Firma Sternberg bald für die besten Filzstoffe und das eleganteste Zubehör für feine Damenhüte bekannt.
    Im Jahr 1898 kaufte sich Johann Isidor in einen Verlag ein. Der machte außergewöhnlich gute und sehr zeitgemäße Geschäfte mit Ansichtskarten – es kamen jedes Jahr mehr Fremde in die Stadt, entsprechend groß wurde der Bedarf an Erinnerungsstücken. Kurz vor der Jahrhundertwende nahm der tätige Handelsmann Kontakt mit einer Privatbank auf. Von den Verhandlungen, sich dort zu beteiligen, wusste noch nicht mal sein Jugendfreund Salomon, ein Rechtsanwalt, dessen Ratschlägen er rückhaltlos vertraute. Frau Betsy bekam immer öfters zu hören, ihr Mann hätte »ein goldenes Händchen«.
    Solche Komplimente zauberten stets ein Lächeln auf das Gesicht der Klugen, doch nie ließ sie wissen, dass sie im Bilde war. Als ihr Gatte Hausbesitzer wurde, fehlten ihm noch sechs Monate zu seinem vierzigsten Geburtstag. Kam in späteren Jahren die Rede auf seinen Wohlstand, erzählte er, ohne sich eine Spur zu genieren, dass er ursprünglich nur an ein bescheidenes Häuschen am Frankfurter Stadtrand
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