Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
Vom Netzwerk:
in den funkelnagelneuen Herd schob. Ein extrafeiner Mandelkuchen war es, nach einem Rezept ihrer Wiener Großtante Julia mit Sultaninen gebacken und mit kandierten Veilchen verziert. Das hilfsbereite Julchen pflegte die Köstlichkeit zu besonderen Anlässen aus Wien zu schicken – der erste Kuchen, der in einer neuen Küche gebacken wurde, war eine solche Gelegenheit.
    Betsys Gatte erachtete Nüchternheit für die Schwester der Klugheit. So dämpfte er umgehend den verfrühten Frühlingsrausch. »Ich glaube«, sagte er, »du riechst eher die Sultaninen, die du in meinem guten Rum getränkt hast, meine liebe Betsy. Rum zwickt nämlich in der Nase. Hast du das zu Hause nicht gelernt? Komm, vergiss für einen Augenblick deinen Kuchen. Dein Mann ist dabei, ins Leben zu ziehen.«
    »Aber nicht ins feindliche«, lachte seine Frau; sie hatte eine gute Erziehung genossen und kannte sich mit der klassischen Literatur aus. Schiller rezitierte sie, so oft sich die Gelegenheit erbot.
    Johann Isidor Sternberg, bald vierzig Jahre alt, ein Geschäftsmann mit Fortüne, angesehen und strebsam, seit vier Wochen Hausbesitzer, Vater eines Sohns, zog seinen schweren schwarzen Mantel mit dem grauen Pelzkragen an und holte seinen am Vortag von Betsy gedämpften Hut vom Ständer. Er ging nicht regelmäßig am Samstag in die Synagoge, doch an einem Sabbat, der mit Kaisers Geburtstag zusammenfiel, hatte er doch das Bedürfnis, für dessen und der deutschen Nation Wohl zu beten. »Ein exzeptioneller Tag«, sagte er, als er sich anschickte, das Haus zu verlassen, »ganz exzeptionell.« Johann Isidor strich seiner Frau über das Haar und sagte, sie möge nicht vergessen, sich zu schonen. »Du trägst«, mahnte er, »die Verantwortung für zwei.«
    Frau Betsys Wangen erglühten. Ob ihr Mann ahnte, wie sehr es sie erregte, wenn er auf Körperliches anspielte? Ihre Gedanken waren zärtlich, als sie ihm nachsah. Ihre Linke berührte ihren Leib, ihr Mund formte ein Wort, das sie in seiner Gegenwart nie auszusprechen wagen würde.
    Johann Isidor, längst nicht mehr nur Tuchhändler en détail und en gros, war nicht nur in den Augen seiner liebenden Gattin ein bemerkenswerter Mann. In vielerlei Beziehung war er seiner Zeit voraus. Er war tolerant, wissbegierig, gerecht im Urteil, überlegt in der Tat und allzeit gemessen im Ton – selbst, wenn er mit Untergebenen und Kindern sprach. Sogar in Gegenwart von Gästen genierte er sich nicht zu zeigen, dass ihm Frau und Sohn mehr bedeuteten als Ruhm und Ehre. Der »junge Herr Sternberg«, wie er immer noch vielerorts genannt wurde, war großzügig, wenn es die Gelegenheit gebot. Verschwenderisch war er nie. Schon als Bub hatte er genau Buch über den Bestand seiner Klicker geführt.
    Zum Umzug in die Rothschildallee hatte Johann Isidor seiner Betsy einen Überwurf für die Leiste mit den Küchenhandtüchern geschenkt – hellblaues Leinen, in feinem Kreuzstich gearbeitet und mit dem Text »Beklage nicht den Morgen, der Müh und Arbeit bringt, es ist so schön zu sorgen für Menschen, die man liebt« bestickt. Das Geschenk hatte er in feines Seidenpapier packen lassen und Betsy mit den Worten »Zur Erinnerung an unser erstes gemeinsames Frühstück in der Rothschildallee« überreicht.
    »Ach, wie das Papier raschelt«, hatte sie gesagt.
    Der Gedanke, dass seine junge Frau sich sichtbar an einem so bescheidenen Geschenk zu erfreuen vermochte, machte ihren Mann noch froh, als er das schwarze schmiedeeiserne Hoftor auf der Straßenseite des Hauses hinter sich zuzog. Die Harmonie der kleinen Szene, die er soeben erlebt hatte, erfüllte sein Herz mit Zuversicht. Eine genügsame Ehefrau war ein Geschenk des Himmels, das Unterpfand von Männerglück, Halt und Trost in trüben Tagen. Die Jahre, die da kommen würden, erschienen Johann Isidor voller Sonnenschein. Wie der Tag, der vor ihm lag. »Danke«, murmelte er.
    Verlegen schaute er sich um. Es war Äonen her, seitdem er auf der Straße ein Dankgebet gesprochen hatte.
    Obwohl das Lied vom fröhlichen Wandersmann sich wahrhaftig nicht für einen ernsthaften Bürger eignete, der dabei war, in die Synagoge zu gehen und den himmlischen Segen für den deutschen Kaiser zu erbitten, pfiff er immer wieder die Melodie vor sich hin und kam sich wie ein Schuljunge vor, den sein zufriedener Lehrer mit einem Sonderauftrag bedacht hat. In einer überschäumend guten Laune, die seiner Art überhaupt nicht entsprach, malte er sich aus, wie überwältigt seine liebe Betsy erst
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher