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01 Das Haus in der Rothschildallee

01 Das Haus in der Rothschildallee

Titel: 01 Das Haus in der Rothschildallee
Autoren: Stefanie Zweig
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eigener Entschlusskraft in der neuen Wohnung Fenster und Türen zu öffnen. Noch nicht erfasst hatte Otto, dass es ihm für alle Zeiten verwehrt sein würde, spontan auf die Straße zu laufen und dort mit Gleichaltrigen zu spielen. Von nun an würde seine Mutter bestimmen, wer auf der gleichen gesellschaftlichen Stufe wie ihr Sohn stand und mit wem er »verkehren« durfte. Ebenso wenig konnte dem Jungen bewusst sein, weshalb die Welt seinen strebsamen, allseits geschätzten Vater noch ehrerbietiger grüßen würde denn zuvor.
    Unmittelbar nachdem Johann Isidor Sternberg den Kaufvertrag für das Grundstück in der Rothschildallee 9 unterzeichnet hatte, war mit dem Bau des vierstöckigen Mietshauses begonnen worden. Architekt war der stadtbekannte Waldemar Josef Busch, von dem man sich erzählte, er würde selbst aus einer Hundehütte eine Herrschaftswohnung machen. Mit dem Anwesen der Sternbergs war der junge Baumeister seinem Ruf absolut gerecht geworden. Allerdings hatte ihm sein Auftraggeber freie Hand gelassen und weder mit Talern noch mit Einsicht geknausert. Nun war sein Haus bester Ausdruck von solider Wertarbeit und Bürgerstolz geworden. Es hatte cremefarbene Mauern, was zwar als ein wenig gewagt galt, aber doch als zeitgemäß und künstlerisch, auffallend hohe Fenster mit ocker gestrichenen Rahmen, schöne breite Simse, geräumige Balkons und eine recht bombastisch gestaltete Haustür aus dunklem Holz und sonnengelbem Glas. Sie war eigentlich charakteristischer für das wohlhabende Westend als für das noch zurückhaltende Nordend, doch gerade bei der Tür hatte Baumeister Busch nicht mit sich reden lassen.
    »Viel Glanz, viel Ehr’«, pflegte er zu zitieren, wenn sein Auftraggeber bezweifelte, ob es klug wäre, den eigenen Wohlstand zur Schau zu tragen.
    Waldemar Josef Busch lagen die Wohnungen in den Häusern, die er baute, ebenso am Herzen wie Außenfront, Mauerwerk und Fensterzier. Der ehrgeizige junge Mann beschäftigte sich sogar mit den Vorgärten, Waschküchen und Kellerräumen. Die Wohn- und Esszimmer, die er konzipierte, waren veritable Salons. Die Schlafzimmer machten einen herrschaftlichen Eindruck, auch die Kinderzimmer zeugten vom berauschenden Selbstbewusstsein der Gründerzeit. In der Rothschildallee 9 war das beste Parkett gelegt worden, das im Handel war; der Deckenstuck mit dem Rokokodekor war eine Augenfreude, die teuren Seidentapeten in der Wohnung des Hausbesitzers würden Jahrzehnte und jede Moderichtung überdauern. Für die Ofennische im Sternberg’schen Salon schlug Busch die berühmten Kacheln aus der holländischen Stadt Delft vor.
    »Ich bin nicht Rothschild«, wagte Johann Isidor schließlich doch zu widersprechen.
    »Der«, beschied ihm Waldemar der Kühne, »bezieht seine Kachelöfen vom Hoflieferanten der Königin Victoria.«
    Der ambitionierte junge Mann hatte sich weitere Extravaganzen geleistet: Er war ein strikter Gegner von Zinkbadewannen hinter dem Vorhang des Schlafzimmers und entwarf Badezimmer, in denen sich sowohl eine Wanne als auch ein Waschbecken unterbringen ließen. Für die Toilette gab es einen eigenen kleinen Raum mit einem Handwaschbecken. Die Trennung von Badezimmer und Toilette war selbst im Westend nicht allgemeiner Brauch. Im Hausflur war auf jeder Etage eine winzige Besenkammer eingebaut worden, die an die Küche angrenzende Speisekammer war fast so groß wie die Küche selbst. Sogar in den Mansarden für das Dienstpersonal ließ sich ein kleiner Ofen unterbringen. Zudem boten sie Platz für Bett, Schrank und Waschtisch.
    »Man kann nie wissen«, orakelte Waldemar Josef Busch prophetisch, »was die Zukunft bringt. Vielleicht kommt eine Zeit, in der man statt Dienstboten zahlende Mieter für Mansarden sucht.«
    Der von einer Gaslaterne auf der Straße beleuchtete vordere Hof war so breit, dass drei Erwachsene nebeneinander herlaufen konnten. Die unschönen Eisenstangen zum Ausklopfen von Bettzeug und Teppichen, die so manches Haus verunstalteten, waren in einer Ecke des Hinterhofs angebracht. Dort wuchs ein mächtiger Sauerkirschbaum, von dem sich der Hausherr nicht hatte trennen wollen. »Wo man Vögel singen hört«, hatte er gesagt, »bleibt das Glück im Haus.«
    Es gab auch einen Bleichplatz, den direkten Zugang zur großen Waschküche und die Möglichkeit, im Sommer eventuell einen Sandkasten und ein Planschbecken für Otto und seine künftigen Geschwister unterzubringen. Im Frühling sollte im Vorgarten ein Fliederbaum gepflanzt und ein
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