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0068 - Die Geisternacht

0068 - Die Geisternacht

Titel: 0068 - Die Geisternacht
Autoren: Hans Wolf Sommer
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Indianer. Der reagierte sofort, ließ Nicole zu Boden fallen, achtlos wie eine Gliederpuppe, und stellte sich in Positur.
    Zamorra drang auf ihn ein wie ein Rasender. Seine gespreizten Hände zuckten vor, griffen nach dem Hals des Mannes, bekamen ihn zu fassen. Grob riss er ihn aus der Ecke, schleuderte ihn auf den Teppichboden, kniete sich auf ihn.
    Der Mann hatte keine Chance. Trotz des blinden Zorns, der den Blick des Professors leicht trübte, erkannte er, dass sein Widersacher älter war, als er anfänglich geglaubt hatte. Die Hälfte seines Lebens lag mit großer Wahrscheinlichkeit bereits lang hinter ihm. Dementsprechend stand es um seine Körperkräfte. Sie hatten denen Zamorras nichts entgegenzusetzen.
    Aber der Jünger Tezcatlipocas verließ sich nicht allein auf seine Körperkräfte. Er versuchte gar nicht erst, sich zu wehren und seine Hände zur Abwehr einzusetzen. Statt dessen führten diese über Zamorras Kopf seltsame Bewegungen aus, verrenkten sich, als seien sie aus Gummi. Dazu stieß der Mann Worte aus, monotone, eindringlich klingende Worte in der Aztekensprache Nahuatl.
    Zamorra verstand nicht alles, was er sagte, aber das was er verstand, gab ihm schwer zu denken.
    Es handelte sich ohne jeden Zweifel um eine magische Beschwörungsformel. Tezcatlipoca, der Schutzpatron der Zauberer, wurde angesprochen und um Beistand angefleht.
    Und schon spürte er, wie sich das Amulett auf seiner Brust erwärmte. Es fing an, in einem silbernen Glanz zu erstrahlen. Der Drudenfuß in der Mitte glitzerte wie ein leuchtendes Auge, und die Tierkreiszeichen und Hieroglyphen, die diesen ringförmig umgaben, blinkten sternengleich.
    Die Macht des Lichtes wappnete sich zum Kampf gegen das Böse, das sich anschickte, das Hotelzimmer mit seiner unheimlichen Präsenz zu erfüllen.
    Der Blick des Indianers glitt über seine Schulter. Befriedigung und Hoffnung war in seinen Augen zu lesen. Leicht alarmiert wandte der Professor den Kopf. Bestürzung überkam ihn, als er erkannte, was in seinem Rücken vorging.
    Da war eine Leuchterscheinung. Zuerst nicht mehr als ein wallender, durchsichtiger Nebel. Dann verdichtete sich der Nebel, nahm Konturen an. Aus dem anfänglichen milchigen Grau schälten sich Farben heraus – schwarz, gelb, rot. Der Gestaltungsprozess schritt fort, schneller jetzt. Ein runder Kopf bildete sich heran, ein länglicher, gestreckter Torso, aus dem Extremitäten wuchsen.
    Dann war der Formungsprozess abgeschlossen. Ein Tier stand im Raum, ein Raubtier.
    Rötlich gelb das glänzende Fell, durchsetzt mit schwarzen Ringfeldern.
    Ein Jaguar!
    Unsagbar tückische Augen funkelten, spiegelten alles Böse dieser Welt wieder. Das Untier öffnete den Rachen. Pfeilspitze Zähne, wie elfenbeinfarbene Dolche, wurden sichtbar. Ein mordgieriges Fauchen klang auf, drohend und brandgefährlich. Beißender Raubtiergeruch, an Blut und Tod erinnernd, breitete sich aus wie ein Pesthauch.
    Zamorra gab sich keinen Illusionen hin. Was er hier vor sich hatte, war keine Halluzination, kein Trugbild, das ihm seine Sinne vorgaukelten. Dieser Jaguar war so real wie der Schrank, das Bett, wie er selbst. Nur dass er von einer höllischen Kraft beseelt wurde, deren Quelle in einer anderen Dimension zu suchen war.
    Das Untier duckte sich zum Sprung. Der Professor ließ von dem am Boden liegenden Indianer ab, sprang auf die Füße.
    Der Jaguar kam. Wie ein Pfeil von der Bogensehne schnellte er hoch, flog auf Zamorra zu. Eine geballte Ladung von schwellenden Muskeln und kompakter Wucht.
    Der Professor ließ sich blitzartig zur Seite fallen. Haarscharf entging er einem wütenden Prankenhieb. Geschmeidig landete das Höllentier auf allen vieren. Die Bestie wirbelte herum, richtete erneut seine glühenden Kohlenaugen auf Zamorra. Dieser riss seine Pyjamajacke auf. Das Medaillon strahlte wie eine silberne Sonne.
    Der Jaguar schien irritiert. Er hatte sich abermals zum Sprung geduckt, zögerte aber. Die Kraftströme, die das Amulett abgab, schienen ihm nicht zu schmecken.
    Der Professor trat einen Schritt vor, auf das Untier zu. Nicht ohne Erfolg, denn die Kreatur wich ein Stück zurück.
    Tezcatlipocas Jünger stieß ein paar gutturale Worte hervor, die sich wie ein Befehl anhörten. Der Jaguar reagierte sofort, wie ein folgsamer Hund, der auf seinen Herrn hört. Er wandte sich von Zamorra ab, machte eine Drehung und nahm Nicole ins Visier, die noch immer in der Schrankecke lag, in diesem Augenblick aber wieder ein Lebenszeichen von sich
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