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0054 - Wir und der Hellseher

0054 - Wir und der Hellseher

Titel: 0054 - Wir und der Hellseher
Autoren: Wir und der Hellseher
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er nach New York, und ich muss sagen, er hat brav und bieder gearbeitet. Schauermann im Hafen, Vormann und schließlich besaß er so etwas wie ein kleines Transportunternehmen, das er verkaufte, als er sechzig wurde, genau vor zwei Jahren. Solange ich denken kann, sprach meine Mutter nur voll Hochachtung von ihm, aber ich hörte nie von ihr, dass er auch hier in New York von seinen angeblichen Fähigkeiten Gebrauch gemacht hätte. Erst als er sein Geschäft aufgab, fing er wieder damit an. Ich kann nicht sagen, dass er seinen Nachbarn oder ihren Hunden Unglück, Tod oder Kindersegen prophezeit hätte. Er macht sich, glaube ich, nur heimlich Notizen über das, was er zu sehen glaubt und prüft aufgrund der eingetretenen Ereignisse seine Ahnungen nach. Heute beim Kaffeetrinken geschah es seit langer Zeit wieder zum ersten Mal, dass er etwas sah und es sagte.«
    »Was war’s?«, fragte Drolbeen.
    »Ach, irgendein Unsinn über den Cresbyl-Mord. Er behauptete, nicht die Frau sei die Täterin, sondern zwei Männer, von denen er einen als kraushaarig und mit einer Narbe am Kinn beschrieb, einer roten Narbe.«
    Der Reporter wurde hellwach.
    »Los, geben Sie mir mehr Einzelheiten. Die Geschichte ist gut, wenn man das Richtige daraus macht.«
    Steven Allyn spitzte die Ohren.
    »Wollen Sie etwas darüber in der Look bringen?«
    »Vielleicht! Geben Sie mir die Adresse von Ihrem Onkel. Ich interviewe ihn, und wir bringen sein Bild. Sieht er ein wenig nach Hellseher aus?«
    »Lassen Sie den Unsinn, Drolbeen«, flehte Allyn. »Mein Onkel wird niemals damit einverstanden sein, dass Sie ihn in die Öffentlichkeit zerren. Außerdem ist doch diese ganze angebliche übernatürliche Fähigkeit einfach Quatsch!«
    »Quatsch oder nicht«, lachte Drolbeen. »Die Leser verschlingen dergleichen mit Wonne.«
    »Ich wünsche nicht, dass Sie verwerten, was ich Ihnen erzählte!«, sagte Allyn energisch. »Mein Onkel würde herausbekommen, dass Sie Ihre Weisheiten von mir haben, und er würde mir das nie verzeihen. Ich warne Sie, Drolbeen. Ich werde Sie verklagen, wenn Sie irgendetwas darüber schreiben.«
    »Na schön«, antwortete der Reporter gelassen. »Lassen wir es also. So interessant ist die Geschichte nun wieder auch nicht, dass ich deswegen mit Ihnen Streit anfange, Stev. Und mir fehlt es zum Glück nie an Stoff. Trinken wir noch zusammen einen Schluck auf meine Rechnung. Ich muss nämlich gleich gehen.«
    Er bestellte zwei Martinis. Sie stießen miteinander an und leerten die Gläser. Drolbeen bezahlte und rutschte von seinem Hocker herunter.
    »Bis zum nächsten Mal, Stev«, verabschiedete er sich.
    »Wiedersehen, Drolbeen. Und denken Sie bitte daran! Kein Wort über die Geschichte von meinem Onkel.«
    »Kein Wort«, antwortete Drolbeen und ging hinaus.
    Er fuhr in die Redaktion des Look, ging in sein Büro und ließ eine der Redaktionssekretärinnen kommen.
    »So«, sagte er, als das Mädchen sich hinter die Schreibmaschine gesetzt hatte, »schreiben Sie, meine Süße! Überschrift zweizeilig im Sperrdruck: Sensation im Cresbyl-Mord. Zweite Zeile: Berühmter Hellseher erklärt Irene Cresbyl für unschuldig. Dritte Zeile wieder gesperrt: Wer ist der Mann mit der roten Narbe?«
    Und dann diktierte er dem Mädchen eine Geschichte, in der er Dichtung und Wahrheit aus Steven Allyns Bericht zu genau dem Pudding verkochte, den die Leser des New York Look so sehr schätzten.
    ***
    »Mrs. Irene Cresbyl«, sagte der untersuchende Richter, Bernard McRoy. »Sie sollten wirklich ein Geständnis ablegen. Sie müssen einsehen, dass Ihr Leugnen keinen Sinn hat.«
    »Ich protestiere gegen diese Art der Beeinflussung!«, schrie Castel Walman, Irene Cresbyls Anwalt.
    »Hören Sie endlich auf, die Untersuchung zu stören«, wies Richter McRoy den Anwalt zurecht. »Sie dürfen Ihre Mandantin bei ihren Antworten beraten, aber Sie dürfen nicht einfach dazwischenschreien.«
    Er wandte sich wieder der Frau zu.
    Irene Cresbyl war schlank und hatte große, braune Augen, die allerdings jetzt glanzlos und ausdruckslos waren. Ihr schönes, glattes Gesicht zeigte in feinen Linien um Mund und Augenwinkel die Spuren des beginnenden Alters.
    »Ich wiederhole«, sagte der Richter. »Sie sind um Mitternacht von einer Party nach Hause gekommen. Sie haben diese Party, bei der auch Ihr Mann anwesend war, vorzeitig verlassen, und zwar deshalb, weil John-Cresbyl Sie nach einer Auseinandersetzung vor den Augen der Gäste geohrfeigt hat. Cresbyl selbst kam erst gegen drei
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