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0039 - Das Todesmoor

0039 - Das Todesmoor

Titel: 0039 - Das Todesmoor
Autoren: Friedrich Tenkrat
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Schmerz im Spiel zu vergessen. Er hat an unserem Jungen genauso gehangen wie ich. Er ist Künstler und schrecklich sensibel, deshalb kommt er darüber noch schwerer hinweg als ich…«
    Ich warf einen Blick auf meine Uhr. Es war kurz nach zehn.
    »Ich muß mich für unseren späten Besuch entschuldigen, Mrs. Tarkowskij. Wenn wir ungelegen kommen, dann sehen wir morgen früh noch mal vorbei…«
    Die Frau schüttelte heftig den Kopf. »Es ist nicht zu spät, Mr. Sinclair. Es geht immerhin um unseren Sohn. Seit George verschwunden ist, können mein Mann und ich ohnedies kaum noch schlafen.«
    Glynn Tarkowskij bat uns, einen Augenblick zu warten.
    Sie begab sich in das Arbeitszimmer ihres Mannes, in dem ein großer weißer Steinway-Flügel stand.
    Ich habe zwar selbst keine Kinder, aber ich konnte diesen Eheleuten dennoch nachfühlen, wie ihnen zumute war. Ich dachte an meine Freunde Sheila und Bill Conolly, deren strammer Knabe, den sie mir zu Ehren John getauft hatten, so blühend heranwuchs. Und mich schauderte bei dem Gedanken, daß sich eines Tages ein Dämon an ihm vergreifen könnte, um mir eins auszuwischen – denn ich war diesem Jungen zugetan, als wäre er mein eigener Sohn.
    Vierfache Kindesentführung.
    Wer steckte dahinter? Warum wurden diese Kinder von ihren Eltern fortgeholt?
    Viermal hatte die schwarzmagische Macht zugeschlagen. Jedesmal war ein Junge gekidnappt worden. Jedesmal war es das Kind weißer Eltern gewesen, das hatte man uns auf dem Flughafen berichtet.
    Wir kannten die Namen der unglücklichen Eltern: Glynn und Juri Tarkowskij. Vor ihnen hatte es schon drei andere Ehepaare getroffen. Sie wollten wir morgen und in den folgenden Tagen aufsuchen.
    Das Klavierspiel brach jäh ab.
    Die letzten Akkorde verhallten. Stille folgte. Sie war Balsam für unsere Ohren.
    Wir vernahmen Schritte, und dann erschien der Russe. Er war mittelgroß, hatte slawische Züge, buschige Brauen und melancholische Augen. Seine Finger waren geschmeidig und feinnervig. Ich kannte einige seiner Kompositionen. Sie waren um die Welt gegangen und berührten die Seele des Zuhörers.
    Glynn Tarkowskij kam nach ihrem Mann aus dessen Arbeitszimmer.
    Der Russe reichte uns die Hand. Er bat uns, mit ihm in den Living-room zu gehen. Glynn hielt sich fortan im Hintergrund.
    Wir betraten einen teuer eingerichteten Raum. Auf einem Marmortisch stand ein großer Samowar. Auf einer handgeschnitzten Anrichte standen silberne Bilderrahmen, in denen sich Fotos von George Tarkowskij befanden.
    Der Russe warf einen wehmütigen Blick auf die Aufnahmen. Er seufzte schwer und setzte sich. Glynn brachte uns Whisky. Juri Tarkowskij leerte sein Glas auf einen Zug. Das trug ihm von seiner Frau einen vorwurfsvollen Blick ein.
    »Wenn es abend wird, möchte ich mich immer betrinken«, sagte der Russe schleppend. »Am Tage werde ich damit noch halbwegs fertig. Aber wenn die Dunkelheit einsetzt, quält es mich so sehr… Manchmal hilft nicht einmal das Klavierspiel – so wie heute. Glynn, gib mir noch etwas zu trinken.«
    »Juri, du solltest nicht so viel…«
    »Bitte!« sagte der Russe mit Nachdruck. Seine Aussprache war ohnedies hart, aber wenn er etwas forderte, wurde seine Rede zu einem aggressiven Grollen.
    Wortlos goß ihm Glynn noch einmal ein. Diesmal leerte er sein Glas nur zur Hälfte. Wohl aus Rücksicht auf seine Frau.
    Er schüttelte den Kopf und meinte: »Eine Woche ist es nun schon her. Eine ganze Woche.«
    »Ist seither niemand mit Ihnen in Verbindung getreten?« erkundigte sich Suko.
    »Nein, niemand.«
    »Sie haben von Ihrem Sohn kein Lebenszeichen mehr erhalten?«
    »Leider nein.«
    »Was nehmen Sie an, Mr. Tarkowskij?« fragte Suko.
    Der Russe hob ächzend die Schultern. »Ich weiß es nicht, weiß es wirklich nicht. Vier Kinder sind im letzen Monat spurlos verschwunden. Bis zum heutigen Tag sind sie nicht wieder aufgetaucht. Niemand rief die Eltern an. Keiner wollte für die Kleinen Lösegeld haben. Ich vermute, daß man unseren Sohn mit der Absicht geraubt hat, uns zu erpressen. Da scheint jemand an kleinen Kindern interessiert zu sein, die er behalten möchte. Er beabsichtigt nicht, sie jemals wieder herzugeben.«
    Glynn Tarkowskij schluchzte auf.
    Ihr Mann blickte zu ihr hin und sagte: »Entschuldige, Glynn.« Er wandte sich an mich: »Ich habe meine Gedanken noch nie so klar in Glynns Gegenwart formuliert…« Er schwieg einen Moment. »Alles Jungen«, sagte er dann. »Und alle sind etwa zwei Jahre alt. Glauben Sie, daß Sie uns
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