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Zwölfender

Zwölfender

Titel: Zwölfender
Autoren: Britta Schröder
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nur ein Schild gewesen, hinter dem sich Leere und Unlust verbargen.
     
    Ich rief einen Krankenwagen und verließ das Haus mit ruhigen Schritten.
     
     
     
     
     
     
     
     
     
     
    Meiner rechten Armbeuge entspringt eine Ader, schwer wie ein Kabel. Sie nimmt geraden Verlauf über den Innenarm, wendet sich dann seitwärts, hin zum äußeren Handgelenk, das sie in einer sanften Kurve umrundet. Kurz über der Handwurzel teilt sie sich in zwei Ströme.
    Der eine fließt in den Atlantik, wo sich meine Erinnerungen mit denen anderer brechen und als nervöse Wachheit in mich zurücklaufen.
    Der andere mündet in den Pazifik, führt hinunter in den Marianengraben und an die Nordküste Chiles in Richtung Wüste, wo alles verödet.
     
    Ich suche mir diese Bilder nicht aus. Sie sind in meinem Kopf.

2
    Zwei Tage nach der Sache mit meinem Vater reiste ich nach Cocoa Beach in Florida.
    Ich schlief am Strand.
    Sofern ich wach war, behielt ich die Brandung im Blick.
     
    Das ausdauernde Nocheinmal der Surfer erzeugte Überdruss in mir. Wenn mich einer ansprach, einlud zum Bier oder herüberwinkte zu seinen Freunden, dankte ich und lehnte ab.
    Manchmal robbte ich nur einem Schatten hinterher und fiel gleich danach wieder in eine bodenlose Müdigkeit.
    Wenn ich Hunger bekam oder etwas zu trinken brauchte, raffte ich mich auf und lief zu einer kleinen Strandbar, die von einem mexikanischen Ehepaar betrieben wurde. Keiner der beiden schien an meinem zunehmend verschmutzten Äußeren Anstoß zu nehmen, und nie behelligten sie mich mit Fragen.
     
    Nach einer Weile entdeckte ich unweit der Bar eine Düne, die mir tagsüber Schatten spendete und mich nachts von den Gruppen am Strand abschirmte.
    In meiner Sandmulde liegend, hörte ich gelegentlich, wie der Klangteppich eines Vergnügungsparks über mich hinwegflog.
    Je länger ich blieb, desto besser gelang es mir, alle anwesenden Geräusche in meine Träume einzubauen.
    Ich schlief.
    Ich schlief tagelang.
     
    Eines Nachmittags wachte ich auf, weil mir die Knochen schmerzten. Ich brauchte Bewegung.
    Ich verstaute das wenige, das ich bei mir hatte, in einen Plastikbeutel und lief los, barfuß, kilometerweit, stets dem schmalen Streifen zwischen Meer und Dünen folgend, bis ich Satellite Beach erreichte.
     
    Es war längst dunkel, als ich auf etwas trat, das nur knapp aus dem Sand ragte, mir aber tief in die Fußsohle schnitt. Ich setzte mich, verband die Wunde mit einem Stück Stoff, das mir bis dahin als Haarband gedient hatte, und tastete nach dem Ding im Sand.
    Es war ein Kabel, an dessen Ende ein dickes Bündel Drähte aus der Isolierung stach.
    Ich grub, zunächst mit den Händen, ein Loch rund um den Strang. Später fand ich eine Kinderschaufel, die mir das Graben erleichterte.
    Das Kabel führte in die Tiefe und in Richtung Ozean.
     
    Ich kramte nach meiner Taschenlampe, öffnete das Batteriefach und leerte es. Dann schob ich einen Teil der freiliegenden Drähte in den Metallschaft, bis sie die Kontakte berührten.
    Einige Sekunden lang passierte nichts, dann ein erstes, mattes Glimmen des Glühfadens, ein unruhiges Flackern und schließlich: brennend weißes Licht, das den Strand für einen kurzen Moment erleuchtete.
    Ich ließ die Taschenlampe fallen. Sie glühte.
     
    Am nächsten Tag nahm ich ein Taxi nach Orlando, besorgte Brandsalbe und Verbandszeug, Unterwäsche, einen Anzug, ein Paar Schuhe und eine kleine lederne Reisetasche. Anschließend fuhr ich weiter zum Flughafen und kaufte ein Ticket nach Frankfurt.
    In einem der Waschräume nahm ich eine Dusche, verband Fuß und Hand, zog mich an und entsorgte meine alten Kleider. Dann aß ich eine Portion Spaghetti und wartete, bis ich mit den anderen Passagieren zum Boarding aufgerufen wurde.

3
    Frankfurt war, wie ich es kannte. Als ich in meine Straße einbog, grüßte mich einer der Kellner aus meiner Stamm-Pizzeria, und die Kioskbesitzerin winkte mir zu wie jedesmal, wenn ich vorbeilief.
    Ich stellte die Reisetasche in meiner Wohnung ab, sah mich kurz um und ging dann hinunter in die Cafébar im Erdgeschoss, um ein Stück Kuchen zu essen.
     
    Wieder zu Hause, hörte ich den Anrufbeantworter und die Mailbox ab: Nur ein Arbeitsauftrag, zwei Nachrichten von Aaron und eine von meiner Mutter, die mir mit einem Unterton zurückgehaltener Aufgeregtheit berichtete, mein Vater sei, das habe ihr ein ehemaliger Nachbar erzählt, überfallen und niedergestochen worden. Er liege nun im Krankenhaus, sage aber nichts und habe auch
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