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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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gewesen, dich nicht auf die Liste der Verdächtigen zu setzen, bloß weil ich dich so gut kenne.»
    «Klar.» Ich bin froh über ihre Antwort, und das gibt mir Mut, das anzusprechen, was ich gestern auf meine Liste geschrieben habe. «Ich möchte dich um Verzeihung bitten, liebe Iðunn, wie ich mich in dieser Sache benommen habe. Ich weiß, dass es nicht einfach mit mir war und ich dich nicht so unterstützen konnte, wie du gehofft hast.» Sie macht Anstalten zu antworten, aber ich hebe einen Finger zum Zeichen, dass sie mich ausreden lassen soll. Am besten, ich bringe es hinter mich, solange ich den Mut dazu habe. «Ich möchte dir auch sagen, wie schrecklich leid es mir tut, dass ich dich verletzt habe, weil ich mit Fríða im Bett war.» Iðunn verschlägt es die Sprache, und ich kämpfe mit dem starken Drang, alles zu erklären, meine Gründe, meine Einsamkeit, meine Minderwertigkeitskomplexe, den Egoismus und die Anmaßung, alles, was möglicherweise zu diesem Verrat geführt hat.
    «Danke», antwortet Iðunn. Damit ist die Sache zwischen uns ausdiskutiert und die Luft wieder rein. Ich atme tief ein und spüre eine Welle der Dankbarkeit meinen Körper durchströmen. Dankbarkeit für die Gelegenheit, meine Missetaten von Angesicht zu Angesicht wiedergutzumachen. Ich schicke eine bescheidene Bitte an das Dasein, ohne sie direkt zu formulieren, aber sie handelt davon, mir ein Zeichen zu geben, worin der Sinn meines Lebens besteht, und mir Kraft zu verleihen, mein Ziel zu erreichen.
     
    In Vífilsstaðir sind immer noch Fetzen des gelben Absperrbandes der Polizei am alten Stall. Wir gehen einmal um den Stall herum und bleiben dort stehen, wo die Krokusse an der rissigen Giebelwand austreiben. Ich pflücke einen und reiche ihn Íðunn. Oben auf dem grasigen Hügel am Waldrand spielen Kinder. Ihre hellen Stimmen zerteilen die stille Luft, und der Wald stimmt mit leisem Echo ein.
    «Ich habe das Gefühl, als würde ich nach langer Abwesenheit wieder zum Leben erwachen», sage ich.
    «Es muss ein komisches Gefühl sein, dem Tod so knapp zu entrinnen», antwortet Iðunn und wühlt mit ihrer Schuhspitze in der frühlingsfeuchten Erde.
    «Ja.» Ich suche nach den richtigen Worten. «Es ist, als sei ich lange Zeit tot oder betäubt gewesen und jetzt aufgewacht. Als hätte ich im wahrsten Sinne des Wortes fast sterben müssen, um aufwachen zu können.» Mich beschleicht der Gedanke, dass ich ohne Geir vielleicht die Schritte nicht bewältigt hätte, mit deren Hilfe ich diese Worte nun ausgesprochen habe. Als sei Lebensgefahr die Antriebskraft der Seele.
    «Ich bin froh, dass du hier bist», sagt Iðunn. «Ich muss dir etwas sagen.» Sie nimmt meine beiden Hände und dreht mich zu sich um. «Erinnerst du dich an den Abend, an dem wir zusammen im Bett landeten?»
    Ich nicke und überlege, worauf sie hinauswill. «Das hatte Folgen.» Sie schaut mich ängstlich an. Ich erwidere ihren Blick und frage mich, was dieser Schachzug des Allmächtigen jetzt wieder zu bedeuten hat. Dann wird mir bewusst, dass dies die Antwort auf meine Bitte vorhin im Auto ist. Das ist meine Bestimmung. Ich umarme Iðunn, und sie weint sich an meiner Schulter aus. In aller Demut bitte ich Gott, mich von dem Verlangen nach Alkohol zu befreien, das mich wie eine unbewusste Reaktion auf meine Hoffnung und Furcht mit vielfacher Wucht erfasst. Ich atme den Duft ihres Haares ein und küsse sie auf den dunklen Schopf.

Über Lilja Sigurðardóttir
    Lilja Sigurðardóttir, Jahrgang 1972, studierte Erziehungswissenschaften und arbeitet heute in der Internetbranche. In ihrer Freizeit schreibt sie Bücher. 2008 gewann sie mit ihrem Thrillerdebüt «Zwölf Schritte» den Schreibwettbewerb des Verlages Bjartur, der auf der Suche nach dem «isländischen Dan Brown» war.

Über dieses Buch
    Im hohen Norden wird viel getrunken. Und viel gemordet.
     
    Den Alkoholentzug hat er gerade hinter sich. Jetzt will Magni sein Leben wieder in den Griff bekommen und vor allem seine Exfrau Iðunn zurückgewinnen. Iðunn ist Kriminalkommissarin in Reykjavík und ermittelt in ihrem ersten Mordfall – aus dem bald eine bestialische Mordserie wird. Beunruhigenderweise entstammen alle Opfer dem Milieu der Anonymen Alkoholiker. Und der Täter bewegt sich Schritt für Schritt, Mord für Mord auf Magni zu …
     
    «Spannung vom Feinsten, geschickt konstruiert und anspruchsvoll.» (Morgunblaðið)

Impressum
    Die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel «Spor» bei Bjartur,
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