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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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denen ich hoffe, dass sie ihn aus dem Gleichgewicht bringen. Wenn dieser verfluchte Kerl mich sowieso umbringen will, dann soll er endlich damit anfangen. «Bist du etwa einer von denen, die Leute ermorden und dann nach Hause gehen und sich bei der Erinnerung daran einen runterholen, du verfluchter Bastard? Und dann bringst du ja nur Männer um, das bedeutet wohl, dass du schwul bist. Warum gelang es dir nicht, Fríða zu töten? War es nicht aufregend genug? Warum fickst du mich nicht einfach, während ich hier hänge, du perverses Arschloch? Traust du dich vielleicht nicht?» Er geht ruhig um mich herum und schaut mich höhnisch grinsend an, sein interessierter Blick wandert prüfend über meinen Körper. Obwohl meine Pöbeleien keinen Einfluss auf ihn zu haben scheinen, mache ich trotzdem weiter. Denn meine Beschimpfungen verschaffen mir eine gewisse Erleichterung. «Du bist nicht der Rächer des Herrn, du Idiot, keine höhere Bestimmung kann rechtfertigen, was du tust. Gott würde dich anspucken, wenn er dich träfe, du bist eine hirnlose Kreatur, die aus Lust tötet …» Weiter komme ich nicht, weil er mir kräftige Hiebe auf Augen, Nase und Mund versetzt. Er lässt seine Fäuste auf mich einprasseln, und ich hüpfe auf und ab, höre auf, die Schläge zu zählen, warte einfach, bis er fertig ist. Ich habe offensichtlich zu guter Letzt doch einen wunden Punkt getroffen. Als ich langsam vor lauter schwarzen Punkten wieder etwas sehe und das schlimmste Pfeifen in den Ohren aufgehört hat, ist er verschwunden. Ich frage mich, warum er damit wartet, mich umzubringen. Die Betäubung im Gesicht weicht allmählich dem Schmerz, aber es ist die reinste Erholung, dass es zur Abwechslung mal woanders wehtut. Ich habe kein Zeitgefühl mehr, und als immer weniger Autos vorbeifahren, packt mich die Einsamkeit. Ich beginne sie zu zählen, als seien es Zeiteinheiten, aber nach vier Autos herrscht lange Stille. Ich muss eingeschlafen sein und eine ganze Weile geschlafen haben, denn ich erwache vom ziemlich gleichmäßig dahinrauschenden Autoverkehr und sehe das Tageslicht in den Ritzen der Schuppentür.
     
    Wenig später merke ich, wie eine Tür hinter mir geöffnet und geschlossen wird. Ich bin zu müde, um den Kopf zu heben. Die Schnüre im Haar scheinen lockerer geworden zu sein, denn mein Kinn ruht fast auf der Brust.
    «Ich hätte gedacht, dass du ein zäherer Bursche bist.» Er zieht etwas an den Schnüren an den Händen, sodass sie in die Luft schlagen wie beim Boxen. Der Schmerz in den Händen hat sich inzwischen in ein unablässiges Brennen verwandelt, und es ist gleichgültig, ob er daran zieht. «Aber du existierst nur, tust gar nichts, existierst nur.» Er spuckt auf den Boden unter meinen Füßen. «So ein hübscher Junge, und dann unternimmst du nichts, um ein besserer Mensch zu werden, sondern gehst einfach durch das Leben und genießt die Früchte, die Gott dir gab, und schaffst es nicht einmal, dich dafür zu bedanken.» Er zieht noch einmal, scheinbar zufällig, sodass ich zuckend durch die Luft laufe.
    «Kann schon sein, dass dich die Mädchen gutaussehend finden, aber in meinen Augen bist du nur eins: ein Versager.» Ich hänge völlig schlapp in den Seilen und schaue mit halbgeschlossenen Augen auf den Boden. Er schiebt sich langsam an mich heran und geht etwas in die Knie, um nachzusehen, ob ich bei Bewusstsein bin. Mein Herzschlag beschleunigt sich, als ich die winzige Chance zur Flucht erkenne. Ich bewege mich nicht, während ich warte, dass er näher kommt. Als er die Hand ausstreckt, um meinen Kopf zu heben, ergreife ich die Gelegenheit, hole Schwung, so gut ich kann, und wickle den Faden für meinen Arm um seinen Hals. Soweit es meine begrenzte Beweglichkeit erlaubt, zappele ich unkontrolliert herum in der Hoffnung, dass er sich in den Stricken verheddert. Er knurrt und gibt ein Gurgeln von sich, ich habe ihm wohl den Hals abgedrückt. Allerdings hat er im Gegensatz zu mir festen Boden unter den Füßen, sodass mein Versuch vergeblich ist. Er streicht sich durch die Haare, als er sich befreit hat, und lächelt fröhlich, wie nach einer erfrischenden Joggingrunde. Dann lässt er die Fäuste auf mein Gesicht prasseln. Mein rechtes Auge schwillt so stark an, dass ich damit nichts mehr sehe. Als ich mich wieder auf meine Umwelt konzentrieren kann, ist er weg.
     
    Mein Zeitgefühl ist verzerrt, als ob die Zeit gleichzeitig schnell und langsam vergehen würde. Ich habe Hunger und denke für einen Moment
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