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Zwoelf Schritte

Zwoelf Schritte

Titel: Zwoelf Schritte
Autoren: Lilja Sigurdardóttir
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dann einen Schlag in den Magen, ich höre Schreie um mich herum. Ich versuche die Augen zu öffnen, aber schließe sie sofort wieder wegen der gleißenden Helligkeit. Die Schuppentür scheint offen zu stehen, und ich spüre einen kühlen Zug im Gesicht.
    «Es wird alles wieder gut, Magni, du bist außer Gefahr», höre ich Iðunns Stimme direkt an meinem Ohr und dann Lärm und Rufe irgendwo im Schuppen. Jemand verlangt Handschellen, und eine andere Stimme direkt neben mir sagt, dass das meiste noch in der Spritze ist.
    «Holt den Arzt», sagt Iðunn, und dann passiert eine Weile nichts. Vielleicht bin ich eingeschlafen. Dann wieder ein Stich, diesmal in den anderen Schenkel, sofort beschleunigt sich mein Herzschlag, und ich kann besser hören.
    «Erst die Finger», sagt eine Männerstimme, meine Hand schmerzt, und kurz darauf falle ich herunter in jemandes Arme.
     
    Als ich zu mir komme, sitze ich draußen mit ausgestreckten Beinen an eine Wand gelehnt. Iðunn flößt mir aus einem Pappbecher Kaffee ein und steckt mir Apfelstückchen in den Mund, während mir jemand mit der Taschenlampe in die Augen leuchtet. Ich sauge gierig an den Apfelschnitzen, obwohl mir mein ganzes Gesicht wehtut, wenn ich nur die Lippen bewege. Das ist das Beste, was ich jemals gegessen habe. Wer hätte geahnt, dass ein Schluck Kaffee und ein Apfel so gut zusammen schmecken?
    «So langsam zirkuliert wieder Blut in den Extremitäten», sagt eine Männerstimme, «nur nicht in diesem Finger, der macht mir ein bisschen Sorgen.»
    «Wir bringen ihn gleich in den Krankenwagen», sagt Iðunn, und ich spüre, wie ihre Hände mein geschwollenes Gesicht streicheln. «Komm, Magni, ab in den Krankenwagen; du musst ins Krankenhaus.» Aber ich will hier nicht weg, sondern draußen in der Helligkeit sitzen und die reine und klare Luft atmen, den Apfel essen und spüren, wie mich Iðunn streichelt und ruhig mit mir spricht. Bis auf einen schmalen Spalt, durch den ich auf den Boden sehen kann, kann ich die Augen nicht aufmachen. An der abgeblätterten Schuppenwand schauen einige weiße Krokusse aus der Erde.
    «Schöne Blumen», versuche ich, einfach um irgendetwas zu sagen, aber ich weiß nicht, ob man es verstehen kann.
    «Er hat eine ziemliche Dosis abbekommen», höre ich Iðunn sagen. «Ich glaube, wir sollten ihn einfach hier auf die Bahre packen.»

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Zwölftes Kapitel Erwachen
    Ich brauche einige Momente, bis mir klarwird, wo ich bin, und ich starre lange an die schalldämpfenden Vierecke an der Decke, ohne dass es mir gelingt, die jüngsten Ereignisse zu einem Gesamtbild zusammenzusetzen. Allmählich realisiere ich jedoch, dass ich im Krankenhaus bin, und der Horror der letzten Tage wird wirklicher. Die Sonne scheint zum Fenster herein, und auf dem Beistelltisch steht ein großer Strauß mit roten Tulpen. Ich starre sie an und bin regelrecht gerührt, wie unendlich farbenprächtig und perfekt geformt sie sind, wie wenn sie aus einer anderen Welt stammten, viel schöner als die, die wir kennen, und hierher gelangt wären, um uns Hoffnung zu schenken. Ich muss unter Morphium oder anderen starken Medikamenten stehen, denn alles ist so unendlich klar in meinem Kopf, und wenn ich nur aufstehen könnte, dann wäre ich zu allem fähig. Ich habe Durst und taste im Bett nach dem Klingelknopf, bis ich ihn schließlich rechts von mir finde. Als ich den Klingelknopf hochhebe, sehe ich meine Hand, die ich zuerst nicht als solche erkenne. Es muss eine Sinnestäuschung sein, denn einen Augenblick lang kommt es mir vor, als würde mir jemand anderes die Klingel reichen, obwohl ich allein im Zimmer bin. Die Hand ist blauschwarz, und die Finger sind auf die doppelte Größe angeschwollen und gehorchen mir nicht richtig, wenn ich den Knopf drücken will. Es ist so herrlich, wach zu sein und hier in diesem weichen Bett zu liegen, dass ich einfach nicht anders kann, als über die unbekannten Finger zu lachen.
    «Du hast ja wirklich gute Laune beim Aufwachen», sagt die Krankenschwester, als sie hereinkommt. «Wie geht es dir?»
    «Ich glaube, es könnte mir nicht bessergehen», antworte ich und lächele sie an, aber mein Gesicht fühlt sich steif und geschwollen an, sodass mein Lächeln wahrscheinlich nicht besonders schön ausfällt.
    «Das hört man gern», sagt sie und lächelt zurück. «Ich sage den Ärzten Bescheid, dass du jetzt wach bist. Soll ich nicht auch deine Frau anrufen? Sie war viele Stunden bei dir, während du geschlafen
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