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Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Zwischen Olivenhainen (German Edition)

Titel: Zwischen Olivenhainen (German Edition)
Autoren: Lisa Wirthl
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dass er die ganze Zeit über ebenfalls zu dem fremden Mann mit dem Hut hinübersah. War der Kerl ein unerwünschter Gast? Möglicherweise ein Killer, der nochmals auf Raffaello angesetzt worden war? Leslie schluckte. Vor ihrem geistigen Auge sah sie schon, wie er eine Pistole aus der Tasche zog und auf Raffaello zielte. Schnell wandte sie den Blick von dem Fremden ab.
    Der Priester warf gerade eine kleine Schaufel voll Erde auf Marios Sarg in das Loch, dann murmelte er ein Gebet und ließ Raffaello den Vortritt. Dieser ergriff die Schaufel, schob sie in den Erdhaufen, der neben dem Grab aufragte. Er schien die Ruhe selbst zu sein, verzog keine Miene, als er die kühle Erde auf Marios Sarg fallen ließ und schließlich mit gefalteten Händen zurück zu Leslie trat.
    „Du bist dran“, raunte er ihr zu. „Nur wenn du möchtest.“
    Sie nickte und trat auf das Grab zu, ließ ebenfalls ein wenig Erde hineinrieseln. Ihre Hand zitterte. Doch das lag weniger an der unendlichen Trauer um Mario, als vielmehr an den vielen Menschen, die sie alle musterten und jeden ihrer Schritte genau unter die Lupe nahmen. Ihr Blick blieb an einer Frau hängen, die direkt zu ihr aufsah. Raffaellos Mutter. Ihre Augen waren grau und ausdruckslos, fast schon kalt. Schnell senkte Leslie den Blick und trat wieder zurück zu Raffaello, dessen Blick nun unverkennbar auf den Mann im Schatten des Olivenbaumes gerichtet war. Leslies Magen machte einen entsetzten Hopser, als sie sah, wie Raffaello ihm tatsächlich unmerklich zunickte. Es war eine winzige, kaum erkennbare Bewegung gewesen, doch er hatte sich irgendwie mit dem fremden Mann verständigt. Sie schauderte. Und dann fiel ihr auf, was sie die ganze Zeit über schon hatte stutzen lassen: Der Mann war riesengroß. Fast zwei Meter. Sie erschrak sich beinahe zu Tode, als er zu ihr herüberblickte.
    Später, als Raffaello damit beschäftigt war sämtliche Hände zu schütteln und Beileidsbekundungen entgegenzunehmen, schlängelte sich Leslie so unauffällig wie möglich zwischen all den Leuten hindurch, die Schlange standen, um mit Raffaello zu sprechen. Wie im Film. Sie sah immer wieder über die Schulter, während sie auf den uralten Olivenbaum zuging. Sie spürte, dass Raffaello ihr nachsah. Ihr Herz fing an zu rasen, als sie sich umdrehte und seinem Blick begegnete. Mit einem Mal fühlte sie sich, als täte sie etwas Verbotenes. Jedenfalls schien Raffaello nicht erfreut darüber, sie im Schatten des Olivenbaumes zu sehen. Er warf ihr einen missbilligenden Blick zu, dann musste er seine Aufmerksamkeit wieder einigen Verwandten widmen, die ihm ihr Beileid aussprechen wollten.
    Leslie erreichte die Stelle, an der der Mann mit dem Hut gestanden hatte. Er war weg. Nur das platt gedrückte, trockene Gras verriet, dass er wirklich dort gestanden und Marios Beerdigung mit angesehen hatte. Und die leere Chipstüte, die zwischen ein paar dürren Grashalmen auf dem Boden lag. Leslie wusste später nicht mehr genau, wieso, aber sie hob sie auf und steckte sie in ihre Tasche, bevor sie sich umdrehte, um zu Raffaello zurückzugehen.

EPILOG
    Der Fahrtwind zauste ihr langes Haar, als sie über eine verlassene Landstraße rasten. Leslie beugte sich weit aus dem Fenster und hielt ihr Gesicht dem heißen Wind und den goldenen Strahlen der Abendsonne entgegen. Sie schloss die Augen und für einige wunderbare Sekunden war sie beinahe glücklich. Raffaello parkte den Maserati ganz plötzlich einfach so am Straßenrand.
    „Komm“, sagte er, „ich will dir etwas zeigen.“ Damit stieg er aus dem Auto und ging auf die Böschung zu, auf der dichtes Gestrüpp und einige hohe Akazien wuchsen. In der Nähe konnte Leslie das Meer rauschen hören. Möwen schrien. Die Luft roch nach Salz.
    Ein paar Minuten sah sie Raffaello einfach nur vom Auto aus nach, wie er da so alleine im Gegenlicht der untergehenden Sonne stand. Sie musste die Augen zusammenkneifen. Er war fast nur ein Schatten. Sein schwarzes Haar wehte im Wind, die Anzugjacke hatte er im Auto gelassen. Leslie stieg aus, als er ihr zuwinkte und folgte ihm, raffte das lange, schwarze Kleid und kletterte durch das Gestrüpp zu ihm hinauf. Seine Sonnenbrille steckte an seinem blütenweißen Hemd. Er hatte es weit aufgeknöpft, die Ärmel hochgerollt und die Krawatte ausgezogen. Fast schien es, als wolle er sich von allem, was heute passiert war, befreien. Er lächelte sogar, als sie bei ihm ankam. Und deutete einfach nur geradeaus auf das Mittelmeer, das, in
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