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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen
Autoren: Shannon Delany
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baumelte aus seinem Maul. Es sah mich an und warf den Kopf in den Nacken und jaulte, ein unheimlicher und zugleich trauriger Ton.
    » Pietr « , hauchte ich.
    Der Wolf ließ das Ding neben Pietrs verwaistes Shirt fallen und schnupperte auf eine blutrünstige und gleichzeitig unbeholfene Art an der Kleidung. Dort lag er eine Weile mit dem Rücken zu mir und zitterte. Ich vermutete, dass es bald dämmerte.
    » Pietr « , flüsterte ich. Vielleicht war er verletzt?
    Und dann rollte sich der Klumpen, das Ding, das eben noch ein Wolf gewesen war, auf die Seite und wurde wieder zu Pietr, dem menschlichen Pietr.
    Langsam drehte er sich zu mir um, seine Augen blickten dumpf– voller Kummer. Es war immer noch Pietr, der dort vor mir kniete, aber er wirkte verändert, wilder und trauriger.
    Erst langsam schien er seine Sprache wiederzufinden, als wären in den ersten Minuten nach der Verwandlung das Hirn des Ungeheuers und das Hirn des Jungen noch wie ein Puzzle ineinander verzahnt.
    » Das bin ich, Jess « , zischelte er vor Reue bebend. In seiner Rechten hielt er den zerfetzten, blutverschmierten Kadaver eines kleinen, unschuldigen Waldbewohners. Ich vermied es, genauer hinzusehen, und konzentrierte mich auf Pietr, seine verletzte Seele, seine gebrochene Stimme. Trotzdem wanderten meine Augen immer wieder zu den Überresten dieses namenlosen Tierchens in seiner Hand, und ich stellte mir zwanghaft vor, was für ein Tier es gewesen sein mochte.
    » Einen wie mich– etwas wie mich– wie kannst du das gern haben « , sagte er. Das Ding in seiner Hand bebte und sein ganzer Körper zitterte vor Selbstverachtung.
    Ich schluckte, in meinem Kopf herrschte Aufruhr, und ich erkannte plötzlich, welches Tier Pietr in seiner Hand hielt. Ich lockerte meinen verräterischen Schal, ließ mich auf meine Knie nieder und sah Pietr fest in die Augen.
    Ich könnte ihm helfen, redete ich mir ein und nahm die Überreste des Kaninchens und legte sie behutsam auf den Boden.
    Ich musste wieder schlucken, denn meine Kehle war trocken und wie zugeschnürt. Ich spürte das Bernsteinherz gegen die Vertiefung unterhalb meines Halses schlagen. Ich nahm Pietrs Gesicht in meine Hände. » Pietr. « Ich schwieg, suchte nach den rechten Worten, stockte und stotterte. » Ich… ich… «
    Er wich meinem Blick aus, sah zu Boden.
    » Nein. « Ich sagte nur dieses eine Wort, mit einer Schärfe, die seine Aufmerksamkeit forderte. Er sah mich wieder an. Es war das einzige Mal, dass ich in Pietr Rusakovas Augen Furcht erblickte.
    » Wie…? « , fragte er wieder. Schwer stand das Wort zwischen uns.
    » Ich weiß es nicht « , gestand ich. Das war die Wahrheit, und wir wussten beide, dass ich in diesem Punkt nicht lügen konnte. Pietr, mein Freund, mein Held, mein treuer, mein liebster, mein süßer Gefährte, war ein Werwolf – ein abscheuliches Wesen. » Aber… «
    Seine Augen blitzen kurz auf, seine Hände ergriffen meine Hände und pressten sie fest an sein Gesicht.
    » Aber ich werde es irgendwie lernen « , versprach ich.
    » Ich bin ein Ungeheuer « , widersprach er.
    » Psst. « Ich dachte plötzlich an unsere früheren Unterhaltungen.
    Was macht einen Menschen wirklich aus? Und was macht einen Menschen zum Ungeheuer?
    Unter den Bäumen knackte ein Ast. » Catherine? « , fragte ich, aber niemand kam. Niemand antwortete. Und obwohl ich zwei Jacken übereinander trug, überkam mich ein Frösteln.
    Waren wir beobachtet worden? Und wenn ja, seit wann?
    Wieder war ein Knacken zu hören. » Catherine? «
    » Oh, die ist hier « , erwiderte eine Stimme aus der Dunkelheit.
    Pietr riss sich von mir los und drehte sich blitzartig zu dem Eindringling um.
    Ich zitterte. Diese Stimme hatte ich schon einmal gehört. Aber wo?
    » Ich muss sagen : Bravo! Die ganze Welt ist eine Bühne, wir treten auf und gehen wieder ab « , der Mann von der Veranda, der Mann, der Max und Alexi bedroht hatte, trat unter den Bäumen hervor, » und einige von uns spielen gleich mehrere Rollen. « Dieser Mann, hatte Max erklärt, gehörte zur O. P. S. – der russischen Mafia. Er schnippte mit den Fingern, worauf ungefähr ein Dutzend weitere Männer aus dem Wald traten. Ihre Gesichter leuchteten geisterhaft im trügerischen Licht des Mondes: eine Mischung aus Scheu, Scham und Wut.
    Zwei von ihnen hielten Catherine fest. Ihr Kopf hing herab, ihre Haare waren ein einziges Durcheinander und sie blutete– sie war eindeutig chancenlos, hatte aber dennoch nicht aufgegeben, sondern wehrte sich
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