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Zwischen Mond und Versprechen

Zwischen Mond und Versprechen

Titel: Zwischen Mond und Versprechen
Autoren: Shannon Delany
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erschienen. Auf staksigen Beinen kam er auf mich zu, schnüffelte wieder und sog meinen Duft mit einer furchterregender Gier ein. Dann stellten sich seine Ohren auf und er raste davon– mitten in den Wald hinein.
    Ich atmete auf, froh darüber, dass auch er nur eine kurze Aufmerksamkeitsspanne besaß. Ich rutschte am Baumstamm entlang nach unten, die Rinde scheuerte meinen Rücken auf, obwohl ich zwei Jacken und ein Shirt anhatte. Ich zuckte vor Schmerz zusammen. Langsam rutschte der Schal, mit dem ich am Baum gefesselt war, mit nach unten. Mein Rücken würde fürchterlich aussehen morgen früh. Wenn es für mich überhaupt ein Morgen gab.
    Ich hörte neben mir ein Rascheln im Unterholz. » Pietr? «
    Ein Wolf erschien, aber eigentlich– ich dachte an die Wölfe, die ich aus dem Zoo oder Tierdokus kannte– sahen diese hier anders aus. Sie waren nicht nur größer– sie waren auch… verdammt! Mir fiel einfach nicht das richtige Wort ein. Sie hatten etwas, was schwer zu beschreiben war. Ihr Leib war eigenartig unterteilt in die breiten Schultern, den schweren Kopf und die Pranken, die so breit waren, als könnten sie die Erde umfassen. Es waren eindeutig keine Wölfe. Und doch war dies das einzige Wort, das ihrem Aussehen am nächsten kam.
    Ich bemerkte sofort, dass dieser Wolf nicht Pietr war.
    Er war kleiner. Die Augen waren anders, die Haltung drückte mehr Erregung aus. Er kam näher, die Ohren waren nach unten gestellt, das Maul bebte und Speichel troff von seinen Lefzen. Sein Ausdruck ähnelte genau dem Hunters und Maggies, wenn ich ihnen Frühstück machte. Nur dass er viel, viel fieser aussah.
    Er hatte Hunger.
    Und ich war an einen Baum gefesselt.

28
    E r kam näher, aus seinem Rachen drang ein tiefes Knurren.
    Ich rührte mich nicht– was blieb mir auch anderes übrig?– und beobachtete das Beben seiner Nüstern, als er meinen Geruch einsog. Groß ragte er über mir auf. Sein Körper versperrte mir die Sicht und ich sah nur den scharfen Schattenriss eines Wolfs im Sternenhimmel über mir. Das Ungeheuer hielt inne, steckte die Nase in Pietrs Jacke. Blinzelte. Schlug die Zähne aufeinander.
    Kannten sie sich? Ich machte die Augen zu und dachte: Lieber Gott, mach, dass sie Freunde sind.
    Seine Nase berührte meinen Halsausschnitt– meinen Hals –, sein Atem heiß wie der erste Sonnenbrand eines Sommers. Dann witterte er Catherines Schal, jaulte auf und hüpfte zurück, die Beine gestreckt, aber bereit zum Sprung.
    Ich zwang mich, die Augen zu öffnen und sah, wie er wieder näher kam, das Maul geschlossen, die Augen weit aufgerissen. Wieder schnüffelte er an dem Schal. Er jaulte, leckte mir übers Gesicht und sprang davon, voller Freude.
    » Catherine? « , rief ich ihm nach.
    Ich lehnte meinen Kopf an den Baumstamm und schloss die Augen. Eine Familie von Wölfen? Ich korrigierte mich– von Werwölfen? Ich lachte, konnte aber selbst nicht sagen, ob ich lachte, weil ich noch lebte, oder lachte, weil ich den Verstand verloren hatte. Wahrscheinlich war es von beidem etwas, und so beschloss ich, weiter stillzuhalten und der Dinge zu harren.
    Ich war wohl eingedöst, die Woge aus Adrenalin und Angst– ja, Angst– hatte mich ausgelaugt. Ich schreckte von einem Geräusch auf. Es hörte sich an, als würde etwas Riesiges durch das Unterholz brechen und das trockene Herbstlaub unter seinen Füßen zerbröseln.
    » Catherine? «
    Nichts.
    » Pietr? «
    Etwas Großes schnürte durch das Gestrüpp, schlich sich durch die finsteren Schatten, raschelte durch das Herbstlaub.
    Ich drückte meine Beine in den Boden– meine Knie schlackerten, als wären sie aus Gummi, nicht aus Knochen. Ich stöhne und zwang mich zur Ruhe. Was auch immer dort auf mich zukam, ich wollte es aufrecht, auf meinen Füßen stehend empfangen.
    Ich spürte das Bernsteinherz an meinem Hals, musste aber an das Hasen-Netsuke meiner Mutter denken, das zu Hause auf meinem Schreibtisch lag. » Mom « , flüsterte ich zum nächtlichen Himmel empor, » ich brauche deine Stärke, deine Klugheit. Ich brauche dich… «
    Der Mond hatte seinen höchsten Stand erreicht und schwebte über dem westlichen Schattenriss des Waldes. Er ähnelte einem kostbaren Silberteller mit einem eingravierten Hasen auf der Oberfläche und er warf sein ungewöhnlich helles Licht weit über das Land, nur nicht dorthin, wo ich es hätte brauchen können.
    Mir wurde bewusst, dass ich bereits seit Stunden hier war…
    Das Ungeheuer trat aus dem Schatten hervor, etwas
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