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Zwischen Licht und Dunkel

Titel: Zwischen Licht und Dunkel
Autoren: Ursula Spitzbart
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normalen Haushaltung und keineswegs nur Frauensache war, nadelten damals alle, Männer, Frauen und Kinder. Auch aus gesamtwirtschaftlicher Sicht war diese Fertigkeit nicht zu unterschätzen. Immerhin stand in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts der Exportwert von Strickwaren dem der Fischereiprodukte in nichts nach. Vor ein paar Jahren erfuhr der gute alte lopapeysa eine Modernisierung, der in einem Stück gestrickte Islandpullover mit dem typischen Muster an der Schulterpartie. Jetzt ist die Frauenausgabe figurbetonend, kurz und mit Reißverschluss. Obwohl … So alt ist der Islandpulli eigentlich gar nicht. Erst seit den 1950ern soll es ihn geben. Obendrein ist er vielleicht nicht einmal eine rein isländische Erfindung. Immer wieder liest man nämlich, die Insulaner hätten sich in Sachen Musterung von Norwegen, Schweden oder Grönland inspirieren lassen.
    Ein untrügliches Zeichen für die Strick-Begeisterung der Nation sind auch die „Strickkaffees“ der Moderne. Zum Beispiel lädt die Handstrickvereinigung Islands zusammen mit dem Verein, der sich dem Erhalt von traditionellen Handarbeiten im allgemeinen verschrieben hat, einmal im Monat zum Nadeltreffen. Eine eigene Website – wie sich das für die internetbegeisterte Nation gehört – informiert über bevorstehende Ereignisse. Denn meistens eröffnet eine Vorlesung oder Vorführung zum Thema Handarbeit den geselligen Strick-, Plauder- und Inspizierabend. Wer einmal auf den Strickhund gekommen ist, kennt kein Halten mehr und der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt. Der Islandpulli für den Hund, der Überwurf fürs Pferd und die Decke für Zwei in Gletscherform. Auch das Bild eines im Island-Stil bestrickten Stuhls sah ich. So manche Designer-Wollkreation fand bereits ihren Weg in amerikanische Verkaufsauslagen.
    Mein ganz persönliches Strickerlebnis ist folgendes: Im Rahmen einer Bibliotheks-Exkursion entdeckte ich auf einem Lesesofa den Strickschal der besonderen Art. Viele fertige Meter von ihm waren malerisch über die Rückenlehne drapiert. Auf dem Sofa saß strickenderweise eine Frau, neben sich einen großen Korb mit kunterbunten Wollresten. Genau dieses Motiv muss ich für den Bildteil meines Buches haben, schoss es mir durch den Kopf. Meine Kamera hatte ich ja dabei. Ich trug der Dame mein Anliegen vor. Kein Problem! „Was wird es denn?“ wollte ich nach der Fotoaktion noch wissen. „Das weiß ich nicht“ antwortete sie und machte sich zum Gehen bereit. Das Strickzeug blieb liegen. „Ach, gehört dir das wohl gar nicht?“ fragte ich. „Nein, es war schon vor mir da.“ Seitdem kenne ich den Bibliotheksschal, zu dem jeder seine Maschen beisteuern darf.
    Wie gesagt, auch ich ließ mich vom allgemeinen Strickfieber anstecken und grub die Nadeln wieder aus, die seit meiner Teenagerzeit brachgelegen hatten. Und ohne meinen geliebten, selbstgestrickten lopapeysa wäre der Islandalltag nur eine halbe Sache.
    _______________
    1     Siehe Kapitel „Eine kleine Namenskunde“.
    2     Siehe Kapitel „Ein musikalischer Exkurs“.
    3     Siehe Liste im Anhang.
    4     Siehe Kapitel „Weltberühmt auf Island“.
    5     Siehe Kapitel „Eine mit allem – das wahre Nationalgericht“.

Zu guter Letzt
    Auf Island lässt es sich gut leben. Dieses Fazit darf ich, für mich ganz persönlich, selbst in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten noch ziehen. Das Stück heile Welt, von dem ich in der ersten Auflage dieses Buches geschrieben hatte, findet man immer noch. Nach wie vor werden Babies bedenkenlos im Kinderwagen auf der Straße abgestellt. Es sind inzwischen auch die bewegten Zeiten wieder vorbei, in denen manchen bekannten Persönlichkeiten – Politikern vor allem – eine Leibwache zur Seite gestellt werden musste.
    Doch so wie die helle Seite erlebe ich nach wie vor immer wieder auch das hautnah, was man höchstens am Rande mitbekommen möchte. Wenn ich zum Beispiel erfahre, dass ein Bekannter die nächste Zeit in einer Entzugsanstalt verbringen wird, falle ich längst nicht mehr aus allen Wolken. In zu vielen isländischen Familien gibt es Sorgenkinder. Dazu noch die allgemeine Eigensinnigkeit meiner Insulaner …
    Es ist deshalb nicht immer ein Kinderspiel für mich, den Island-Alltag zu meistern. Aber letztendlich doch ein großes Privileg, das Beste aus zwei Welten in meinem Leben vereinigen zu können. Seitdem ich auf Island lebe, sehe ich meine alte Heimat mit anderen Augen. Ich weiß jetzt, wie tief meine Wurzeln
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