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Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters

Titel: Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters
Autoren: Leif GW Persson
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Freitag, 22. November
     
    Zwischen 19.56 und 20.01 am Freitag, dem 22. November, gingen bei der Notrufnummer der Stockholmer Polizeizentrale drei Anrufe ein.
    Der erste stammte von einem pensionierten Juristen, der auf seinem Balkon im Valhallavägen 38 den gesamten Ereignisverlauf detailliert beobachtet hatte. Der Jurist stellte sich mit Namen und Titel vor und wirkte nicht im Geringsten erschüttert. Seine Darstellung war wortreich, systematisch strukturiert und ansonsten vollkommen absurd.
    Im Großen und Ganzen lief sein Bericht darauf hinaus, dass ein Verrückter in einem langen schwarzen Mantel und einer Skimütze mit Ohrenklappen einen bedauernswerten Hundebesitzer und dessen Hund erschossen habe. Jetzt laufe der Verrückte im Kreis und schreie wirres Zeug, und der Jurist habe sich trotz der mehreren Grad unter Null auf seinem Balkon aufgehalten, weil seine Frau an Asthma litt und Zigarrenrauch die unangenehme Neigung besaß, sich in den Vorhängen festzusetzen. »Falls der Herr Inspektor das wissen wollte?«
    Der zweite Anruf kam aus einer Taxizentrale. Ein Fahrer hatte im Valhallavägen 46 eine ältere Dame abgeholt, und als er die Tür aufgehalten hatte, um dem Fahrgast auf den Rücksitz zu helfen, hatte er aus dem Augenwinkel »einen armen Teufel gesehen, der vom Dach dieses Hochhauses stürzte, wo die vielen Studenten wohnen«. Der Fahrer war fünfundvierzig Jahre alt und zwanzig Jahre zuvor aus der Türkei nach Schweden gekommen. Er hatte als Kind schon Schlimmeres erlebt und früh gelernt, dass ein jeglich Ding seine Zeit und seinen Ort hat. Deshalb verständigte er per Funk die Zentrale, teilte mit, was er gesehen hatte, und bat die Kollegen, die Polizei zu informieren, damit er die alte Dame zu ihrer Tochter auf ihren in der Nähe von Marsta gelegenen Hof fahren könnte. Es war eine gute Tour, und das Leben ging weiter.
    Anruf Nummer drei stammte von einem Mann, der der Stimme nach am Beginn seiner mittleren Jahre stehen musste. Er wollte nicht verraten, wie er hieß und von wo aus er anrief, aber seine Munterkeit ließ auf die Einnahme von stimulierenden Mitteln schließen. Außerdem hatte er einen guten Rat. »Jetzt ist schon wieder so ein verrückter Student vom Dach gehüpft. Bringt ein paar Eimer mit, wenn ihr ihn aufsammeln kommt.«
    Auf der Polizeizentrale ging alles seinen altbekannten Gang. Als die zuständige Beamtin per Funk Alarm gab, hatte sie bereits beschlossen, sich eher auf den Taxifahrer und den Scherzkeks mit dem guten Rat zu verlassen als auf den wortreichen Juristen. Schießerei, Hund und Eimer ließ sie unerwähnt.
    Sie teilte so in etwa mit, dass eine Person aus dem Studentenwohnheim Nyponet im Körsbärsvägen gesprungen oder gestürzt und auf dem Bürgersteig oberhalb des Parkplatzes gegenüber der Kreuzung Valhallavägen und Frejgatan gelandet sei. An der angegebenen Stelle befanden sich angeblich ein lebloser Körper sowie eine erregte männliche Person in einem schwarzen Mantel und einer Schirmmütze. War vielleicht gerade ein Streifenwagen in der Nähe, der sich um diese Sache kümmern konnte?
    Ein solcher Wagen stand gerade nur hundert Meter entfernt am anderen Ende des Valhallavägen. Er gehörte zu Östermalms Wachdistrikt VD 2 und hielt, als per Funk Alarm gegeben wurde, vor der Würstchenbude an der Einfahrt zum Krankenhaus Roslagstull. Im Wagen saßen zwei der Spitzen der Stockholmer Polizei. Hinter dem Lenkrad befand sich Polizeianwärter Oredsson, 24. Oredsson war blond, blauäugig und breitschultrig. Er führte gerade sein letztes Praktikum als Anwärter durch und sollte einen Monat darauf in den regulären Dienst übernommen werden. In seiner Seele loderte die Überzeugung, dass der Kampf gegen die immer stärker anwachsende Kriminalität dadurch in eine entscheidende Phase eintreten werde, an deren Ende schließlich der Sieg des Guten stehen müsse.
    Auf dem Beifahrersitz saß sein unmittelbarer Vorgesetzter, Polizeiwachtmeister Stridh, fast doppelt so alt wie Oredsson und unter den älteren Kollegen bekannt unter dem Spitznamen »Friede um jeden Preis«. Seit die beiden zwei Stunden zuvor ihren Dienst angetreten hatten, waren seine Gedanken ausschließlich um die Wurst mit Kartoffelpüree, Gurken- und Krabbensalat, Senf und Ketchup gekreist, die seinem elenden Dasein eine zumindest vorübergehende Linderung bescheren sollte. Jetzt nahm er bereits ihren Duft wahr, und im Kampf um das zwischen ihm und Oredsson befindliche Mikrofon hatte er deshalb natürlich
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