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Zwischen den Zeilen

Zwischen den Zeilen

Titel: Zwischen den Zeilen
Autoren: Benedikt Altmann , Berthold F. Bauer
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ganz absorbiert worden zu sein. Seine eigene Persönlichkeit schien in dieser Nacht ganz in der Gemeinschaft der Gruppe aufzugehen. Oder lag es einfach ganz schlicht nur daran, dass ich mich immer einfach noch an seine fast schon militärisch knappe Kurzhaarfrisur gewöhnen musste, die er seit vergangenen März nun offenbar wirklich ganz konsequent mit sich herum trug? Er ging jetzt ja bestimmt alle zwei Wochen wieder aufs neue zum Friseur. Ich hatte ihn ja nun vor fünf Tagen zum ersten Mal seit fast sechs Monaten wieder gesehen. Die anderen hatten den früheren Nicki, den ständig kiffenden Nicki, den kettenrauchenden Nicki, den Nicki mit der dauernden Protesthaltung, den Nicki mit den extrem langen Haaren längst vergessen, da sie ihn hier in seiner neuen Fassung ja nach meinem Weggang im vergangenen März monatelang noch tagtäglich erlebt hatten. Ich sah ihn hingegen immer noch mit seinen nur mühsam und schlampig aus der Stirn gekämmten, bis auf die Schultergelenke hinunter reichenden brauen Haaren vor mir.
    Nun also stand Nicki mit heruntergelassener Hose und mit drei weiteren Zwölfern um Andi herum. Wer zuerst auf Andi kam, der konnte dann sein Tutor werden.
    Die vier Bewerber wichsten also, was das Zeug hielt, und einer von ihnen kam dann auch ganz schnell und heftig, wobei er immer wieder in den Knien einknickte, als er kam. Der Name dieses Bewerbers war Nicolas. Ausgerechnet Nicki. Nicki würde nun also Andis Tutor werden. Ich konnte es ja kaum glauben. Da hätte es sich der gute Nicki nun aber doch wirklich viel, viel einfacher machen können. Irgendeinen pflegeleichten schüchternen, und ihm dann dafür den Rest des Jahres sehr dankbaren Elfer auf der Liste aussuchen, den sonst kein anderer so richtig haben wollte. Und fertig. Aber ich wurde den Verdacht nicht los, dass Nicki neuerdings die Herausforderung suchte. Warum denn einfach, wenn’s auch kompliziert geht?
     
    Bei den anderen Elfern, die mehr als einen Bewerber hatten, wurde nun ganz ähnlich wie bei Bennie oder Andi verfahren. Irgendwann, so gegen 02:30 Uhr waren dann schließlich alle neuen Elfer verteilt und die diesjährige Lizitation war damit zu Ende. Was nun folgte, war zunächst bis zu den Herbstferien die so genannte Klosterzeit . Neben der Klosterwoche und der Klosternacht also gewissermaßen das dritte Zeitfenster, das die frischen Elfer nun zu durchlaufen hatten. Die neuen Elfer würden also für den Rest des Schuljahres ihrem Tutor aufs Engste verbunden sein, und in den kommenden nun besonders intensiven sechs Wochen der Klosterzeit für ihn dann wie Odalisken sein, wie mir Sebastian und Dani dann zum Abschied mit einem leicht höhnischen Schmunzeln erklärten. Als ich dieses Wort dann später in meinem Zimmer im Wörterbuch nachschlug, wunderte ich mich nicht wirklich, war aber als neutraler Beobachter natürlich dennoch pflichtgemäß schockiert.

 
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Im gedämpften Licht einer Stehlampe saß ich später allein am Schreibtisch in meinem Appartement im verwaisten Südflügel und erstellte nun in einem einfachen DIN-A5-Schulheft ein Gedächtnisprotokoll des heutigen Abends. Ich hatte mir angewöhnt, immer gleich am Abend oder in der Nacht noch vor dem Schlafengehen die Tagesberichte für mein Praktikantentagebuch abzufassen, da dann die Eindrücke noch unmittelbar und vollständig wirkten. Schon nach einer Nacht wirklich erholsamen Schlafens, mit oder auch ohne Wichsen, veränderten sich oft die Blickwinkel auf die Wahrnehmungen des vergangenen Tages und man ordnete Vieles so in einen dann häufig doch ziemlich veränderten Kontext ein.
    So saß ich nun hier mitten in der Nacht in wärmenden Licht und erlebte während meines Niederschreibens nochmals intensiv aufs neue die Geschehnisse der Elferlizitation der heutigen Klosternacht .
    Nachdem Sebastian vor einer guten halben Stunde die diesjährige Aktion für erfolgreich beendet erklärt hatte, hatten sich alle neuen frischen Elfer zusammen mit ihren neuen Tutoren für den weiteren Verlauf dieser so genannten Klosternacht gemeinsam in ihre Zimmer zurück gezogen. So wie es hier schon immer seit jeher der Brauch verlangte.
    Das vielfältige sich Ausprobieren und das dabei oft auch bunt gemischte Herumexperimentieren untereinander während der impulsiven und stürmischen vergangenen Woche hatte damit wieder ein Ende gefunden.
    Nun gab es seit heute Abend wieder klare Zuordnungen. Ein jeder der Elfer hatte jetzt seinen festen Tutor und die hitzigen
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