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Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Autoren: Erin Kellison
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auf dem Boden und richtete sich mühevoll auf. Der Mann und die Frau betraten gerade die Wohnung. Mit einem Fußtritt schloss er die Tür und lehnte sich dagegen, während sie sich im Raum umsah und die verkniffenen Lippen zu einem unfreundlichen Lächeln verzog.
    Talia fröstelte.
    Melanie sah vom Boden zu ihr hoch. »Sie wollen zu Talia.«
    »Sie ist nicht hier«, wiederholte Talia. Melanies ängstlicher Blick und ihre weit aufgerissenen Augen, die sonst so selbstsicher wirkten, erfüllten Talia mit unendlicher Dankbarkeit, und zugleich war ihr mulmig. Ihre Mitbewohnerin hätte ebenso gut einfach mit dem Finger auf sie zeigen können und fertig. Aber andererseits ließ Melanie sich nicht von jedem einschüchtern.
    Melanie stand auf, straffte ihren Rücken und zog die Augen zusammen.
    Talia las die Frage in dem Gesicht ihrer Mitbewohnerin – Kennst du die? – und antwortete mit einem kaum merklichen Kopfschütteln, nein.
    Talia hatte keine Ahnung, wer diese Leute waren. Sie waren jung, vermutlich Mitte zwanzig. Die Frau war groß und schlank, hatte volles dunkles Haar und einen üppigen Busen, jedoch einen unglücklich vorstehenden Unterkiefer. Der Kerl, der an der Tür lehnte, war klein und breit und betonte seine Figur durch eine Bügelfaltenhose und ein enges Polohemd. Er wirkte aus der Mode gekommen, wie ein Nachrichtensprecher aus den Achtzigern. Die zwei passten nicht zueinander. Abgesehen von ihren ausdruckslosen Augen und den strengen Linien um ihre Münder bildeten sie ein ungleiches Paar.
    »Wir können warten«, erklärte die Frau und schien sich in der Wohnung wohlzufühlen.
    Eine Gänsehaut lief über Talias Kopfhaut und weiter ihren Rücken hinunter. Sie schluckte. »Was möchten Sie denn eigentlich von ihr?«
    »Wir sind ihre Fahrer. Sie hat heute Abend ein Rendezvous«, erwiderte die Frau.
    Talia hatte keine Verabredungen. Nicht jetzt, nie. Kerle merkten sofort, dass sie anders war, und hielten sich von ihr fern. Und der Gedanke, sich körperlich auf jemanden einzulassen, von jemandem berührt zu werden … Nein . Bücher waren ihre einzigen Freunde.
    Die große schlanke Frau trat auf sie zu, beugte sich vor, um Talias Gesicht zu untersuchen, und zog sich wieder zurück. Sie verströmte einen überaus fauligen Geruch. Ihr Blick war berechnend, gemein und forschend.
    Instinktiv wich Talia in die Dunkelheit zurück. Die Schatten legten sich wie Seidenschleier um ihren Körper, kalt, aber beruhigend. Der Raum verfinsterte sich. Andere mochten es für eine Täuschung des Lichts halten oder für eine gedimmte Glühbirne, aber sie wusste es besser. Sie bemühte sich, ihre Angst zu kontrollieren und die sich sammelnden Schatten zurückzustoßen. Es war lange her, dass sie die Kontrolle verloren hatte. Mit einiger Anstrengung schüttelte sie das Dunkel von sich.
    Das beste Versteck war immer in aller Öffentlichkeit.
    »Ich glaube, Sie sind hier falsch«, sagte Melanie. »Ich bin ihre Mitbewohnerin und weiß ganz sicher, dass sie jetzt mit niemandem ein Rendezvous hat.«
    »Talia O’Brien, sechsundzwanzig Jahre alt, Doktor der Anthropologie. Mutter: Kathleen O’Brien. Sie ist bei Talias Geburt gestorben. Es kam zu Komplikationen, die von einem Herzfehler herrührten. Sie wurde von ihrer Tante Margaret aufgezogen, die ebenfalls verschieden ist«, zitierte der gedrungene Mann.
    In Talia stiegen Schuldgefühle wegen ihrer Mutter und Trauer über den Verlust ihrer Tante Maggie auf. Tante Maggie war bei einem Autounfall gestorben, während Talia gegen ihren Willen wieder gesund geworden und langsam ins Leben zurückgekehrt war, sodass sie mit fünfzehn Jahren schließlich ganz allein zurechtkommen musste.
    Der Lärm der Band schraubte sich erneut in ohrenbetäubende Sphären hoch.
    Im Gedenken an Tante Maggie schluckte Talia ihre Angst hinunter und zwang sich, die Musik zu übertönen. »Soll das etwa ein Streich sein? Das ist nicht lustig.«
    Die große Frau lächelte ihr über ihre Schulter hinweg zu. »Nein, kein Streich.« Sie hob eine gezupfte Braue. »Wissen Sie, Sie haben sehr ungewöhnliche Augen.«
    Talia kam sich vor wie ein Insekt unter dem Mikroskop. Sie hasste es, wenn Leute Bemerkungen über ihr Aussehen machten, insbesondere über ihre Augen. Exotisch , hatte Tante Maggie einmal gesagt. Aber exotisch war sehr wohlwollend ausgedrückt. Seltsam traf es wohl eher. Sie standen an den Seiten etwas zu schräg nach oben. Und sie hatten die Angewohnheit, entsprechend ihrer Stimmung die Farbe zu
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