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Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Autoren: Erin Kellison
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uns ohnehin begegnen. Dann haben wir genügend Zeit.«
    Das stimmt nicht . Sie würde nur kurz in den Zwielichtlanden verweilen, bevor sie weiter in die nächste Welt reiste. Die Zwielichtlande bildeten nur den Übergang. Sie konnte dort nicht lange bleiben, egal, wie sehr er versuchte, ihre Überfahrt hinauszuzögern. Und das würde er. Er konnte sie nicht einfach verglühen lassen wie eine flackernde Kerze, die das Ende des Dochts erreicht hatte. Nicht dieses strahlende Licht.
    Die Dunkelheit lastete schwer auf seinem Rücken, und es reizte ihn, seinen Umhang abzuwerfen. Sie spürte seine Anwesenheit bereits. Und ihr Bild bewies, dass sie die Zwielichtlande schon sehr deutlich sehen konnte.
    Was sollte schon passieren? Wenn er sie nicht lange in den Zwielichtlanden halten konnte, durfte er sich hier vielleicht einen Augenblick stehlen. Jetzt .
    Er zerriss einen dünnen Schleier, den letzten, der noch vor ihrem Übergang in die andere Welt lag, und trat aus den Zwielichtlanden in das schwach erleuchtete Zimmer. Die Gerüche der sterblichen Welt umfingen ihn. Es waren zu viele, als dass er einzelne erkennen konnte. Bis auf ihren. Mit einem einzigen Atemzug nahm er sie in sich auf.
    Schließlich erblickte sie ihn. Der Pinsel fiel zu Boden. Ihre bereits blasse Haut wurde kreidebleich. Ihre Lider flatterten wie Schmetterlingsflügel, blau umrandetes Indigo mit einem geschwungenen schwarzen Rand.
    »Ruhig«, sagte er und machte mit der Hand eine beschwichtigende Geste, um ihren Schock und ihre Überraschung zu lindern, die ihr den Atem raubten.
    Als sie seiner Gegenwart gewahr wurde, füllten sich ihre Augen mit Tränen, während ihr Verstand zugleich die Gestalt des Todesboten nach dem Bild formte, das sie tief in ihrer Seele von ihm bewahrte. Sein Wesen blieb immer dasselbe; er war für immer und ewig der letzte Bote. Der letzte Gast. Der Kapitän des kleinen Bootes, das sie von der Welt der Sterblichen über die Gewässer der Zwielichtlande fuhr und sie an der Küste dahinter absetzte.
    Aber in welcher Gestalt er erschien, das blieb ihrer Vorstellung überlassen. Wenn Sterbliche nur wüssten, welche Macht sie besaßen, könnten sie die drei Welten mit einem einzigen Gedanken umgestalten. Vielleicht würden sie es eines Tages tun.
    Was sah sie, als sie ihm schließlich ihren Blick zuwandte? Einen Furcht einflößenden Albtraum, eine groteske, unvorstellbar alte Gestalt? Das geschah ziemlich häufig. Diejenigen, die sich vor der dunklen Reise fürchteten, machten aus dem Äther eine Horrorvorstellung und aus ihm eine Horrorgestalt.
    Nein . Sie fürchtete sich nicht vor der Zeit oder dem Tod. Sie zitterte nicht, als er sich ihr näherte. Als er vortrat, um ihr Gemälde zu betrachten.
    Ein paar Sachen hatte sie falsch eingeschätzt: Der dunkle Wald war noch dunkler, pechschwarz, tiefschwarz wie klägliche Angst. Sie hatte auch die Rauchsäule vergessen, die in der Mitte aus dem Feuer der Wut aufstieg. Aber er war da. Er hockte im Vordergrund, eine von grauem Wind umhüllte Gestalt. Von einem stürmischen Wind. Eine Gestalt, die angriff oder abwehrte, eine Kraft aus sich selbst heraus. Das hatte sie genau begriffen, aber sein Gesicht hatte sie nicht gemalt.
    Was hatte sie gesehen? Die Frage beschäftigte ihn.
    »Habe ich dich gut getroffen?« Die Angst trieb ihre Stimme in die Höhe.
    Er wandte ihr seinen Blick zu. »Ja.«
    Sie atmete tief ein und beruhigte sich. »Was ist hinter dem Meer?«
    Darüber sann er selbst häufig nach. »Das weiß ich nicht. Ich komme nie dorthin.«
    »Aber ich.«
    Es war keine Frage gewesen, dennoch nickte er bestätigend.
    Sie wischte sich mit dem Handrücken die Tränen fort. Dann streckte sie ihm eine leicht zitternde Hand entgegen. »Ich bin Kathleen O’Brien. Schön, dass wir uns endlich persönlich kennenlernen.«
    Aha, ein Freund. Ein Gefährte. Das war gut. Er wusste nicht, ob er es ertragen hätte, wenn sie sich vor ihm fürchtete. Wenn sie in ihm ein Monster sähe.
    Er kannte das Ritual, war über Jahrtausende hinweg sein Zeuge gewesen, aber immer noch staunte er, als er ihre Hand ergriff und Zwielicht ihre sterbliche Haut berührte. Sie fühlte sich warm und zart an und war trotz ihrer Zerbrechlichkeit stark wie die Gezeiten. Er spürte in ihren Fingerspitzen ihren Herzschlag, was ein fremdes Gefühl in ihm auslöste. Seltsam.
    Sie atmete vorsichtig ein. »Und wie heißt du?«
    Er hatte über die Jahre hinweg viele Namen erhalten, aber die lehnte er alle ab. Er wollte nicht, dass
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