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Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande - Kellison, E: Zwielichtlande
Autoren: Erin Kellison
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manipulieren.
    Adam blätterte durch die dreihundertsechzehn Seiten von Ms Talia O’Briens Dissertation. Sie waren eng bedruckt und wurden lediglich von ein oder zwei Diagrammen unterbrochen. Schwierig zu lesen. Sie hätte eine größere Schrift wählen sollen. So wäre er vermutlich erblindet, bevor er die Arbeit überhaupt bis zum Ende durchgelesen hatte.
    »Du könntest mir ruhig antworten. Unsere Mutter hat dir bessere Manieren beigebracht«, sagte Jacob in dem üblichen herablassenden Ton.
    Mom würde um uns beide weinen.
    Adam zwang sich, seine Aufmerksamkeit von Jacob auf das erste Kapitel zu lenken, den Abschnitt, in dem Ms O’Brien ihre Theorie und Analysemethode vorstellte. Ihre Art zu denken, die ungewöhnliche Perspektive ihrer Untersuchung, gefiel ihm. Sie ging nicht davon aus, dass es Nahtoderfahrungen wirklich gab, behauptete aber auch nicht, dass sie falsch wären. Sie nahm eine Position außerhalb der Geschichten ein und suchte nach gemeinsamen Vorstellungen, nach wiederkehrenden Mustern. Denn sie wollte nicht den Tod an sich analysieren, sondern die Vorstellung, die die Lebenden von ihm hatten. Der Tod als Konzept, als Idee, die von einem unbewussten Kampf mit der Sterblichkeit herrührte.
    »Adam, ich bin so hungrig, dass ich überhaupt nicht mehr denken kann. Ich könnte vielleicht etwas Suppe probieren. Oder ein belegtes Brot. Was meinst du? Nur ein kleiner Bissen, damit ich weiter durchhalte.«
    Du willst kein Brot, Jacob. Du weißt noch nicht einmal mehr, was man damit macht. Du hast es nur auf die Person abgesehen, die es dir bringt, selbst wenn es dein eigener Bruder ist.
    Aber jedes Gespräch mit diesem Wesen, das Gesicht und Gedächtnis seines älteren Bruders besaß, war zwecklos. Was immer er seit seiner Veränderung von sich gab, er verdrehte die Tatsachen und kannte nur ein Ziel: dass Adam litt. Daran würde sich nichts ändern.
    Adam konzentrierte sich auf die Untersuchung. Im zweiten Kapitel ging es um den Umgang der Autorin mit ihren Probanden. Es war ihr gelungen, Personen sehr unterschiedlichen Alters zu rekrutieren – sehr lobenswert. Sie hatte einige Erfahrungsberichte transkribiert und im Anhang angefügt. Eine mühsame Arbeit.
    Das Leben nach dem Tod.
    Adam runzelte die Stirn. Diesen Ansatz hatte er noch nicht verfolgt; vielleicht war es an der Zeit, damit anzufangen. Und diese – er blätterte zur Titelseite – Talia O’Brien näherte sich dem Thema aus einem eindeutig objektiven Blickwinkel. Er musste sie überprüfen und herausfinden, ob keine Bedenken bestanden, sie in das Team von Segue zu holen.
    »Gott, Adam, ich weiß nicht, wieso du so gemein bist. Ich will doch nur ein belegtes Brot. Du könntest mir wenigstens antworten. Antworte mir, verdammt!«
    Adam blätterte durch die Dissertation, vorbei an ihrer Analyse zu den Schlussfolgerungen. Irgendetwas erregte seine Aufmerksamkeit, sein Magen krampfte sich zusammen. Er blätterte zurück. Da. Auf Seite 69 unten, Fußnote 3b. Eine Probandin behauptete, einem Individuum namens Schattenmann begegnet zu sein.
    Die Erinnerung an einen euphorischen Jacob stieg in ihm auf, der vor langer Zeit mit leuchtenden Augen, wildem Blick und schriller Stimme gekreischt hatte: »Mich kriegt der Schattenmann nicht!«
    Jacobs Gesicht war voll Blut gewesen, und zu seinen Füßen hatte der schlaffe Körper seines Vaters gelegen.
    Adam bekämpfte den Schmerz, den die Erinnerung in ihm auslöste, schob das Bild zurück in eine kleine Kiste in seinem Kopf und schloss sie fest zu.
    Er blinzelte heftig, um wieder normal sehen zu können und sich von der Hitze zu befreien, die ihm auf einmal den Schweiß auf die Haut getrieben hatte. Er zwang sich, tief durchzuatmen.
    In den zurückliegenden Jahren hatte er ausgiebig überall nach dem Namen »Schattenmann« gesucht, hatte versucht, Jacob zu befragen und ihn zu provozieren, aber nichts erreicht. Überhaupt nichts.
    Bis jetzt.
    Adams Herz schlug bis in seinen Hals. Schattenmann . Ms O’Briens Probandin hatte sich mit ihm unterhalten, und der Schattenmann hatte sie vor dem Tod gerettet und zurück ins Leben geholt.
    Ich fasse es nicht. Der Schattenmann.
    Ein seltsames Gefühl kroch in ihm hoch, legte sich schwer auf seinen Brustkorb und surrte in seinem Kopf.
    Nahtoderfahrungen. Darauf hätte er früher kommen müssen. Unglaublich, dass ihm das nicht eingefallen war. Dabei hatte er Wiccas, Schamanen und Heilige zurate gezogen.
    Adam holte sein Mobiltelefon aus der Tasche. »Custo. Suche Ms
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