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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen
Autoren: Tracy Chevalier
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Kopf, selbst wenn es im Zimmer kalt ist.
    Frances, die einzige Philpotschwester, die geheiratet hat, führt mit dem Busen – was vermutlich alles erklärt. Wir Philpots sind keine Schönheiten, unsere Figuren sind hager und unsere Gesichtszüge herb. Auch reichte das Familienvermögen nur, um eine Tochter problemlos zu verheiraten. Frances machte das Rennen und verließ das Haus am Red Lion Square, um die Frau eines Kaufmanns in Essex zu werden.
    Schon immer habe ich Menschen bewundert, die wie Mary Anning mit den Augen führen, denn sie scheinen die Welt und deren Treiben bewusster wahrzunehmen. Aus diesem Grund vertrage ich mich auch mit meiner ältesten Schwester Louise am besten. Louise hat wie alle Philpots graue Augen und ist eher schweigsam, aber wenn sie einen fest anblickt, nimmt man sie ohne Worte ernst.
    Auch ich wollte immer mit den Augen führen, doch es war mir nicht vergönnt. Ich habe ein markantes Kinn, und wenn ich die Zähne zusammenbeiße – was aus Kummer über diese Welt leider öfter geschieht, als es sollte –, verspannt es sich und wirkt scharf wie eine Klinge. Auf einem Ball hörte ich einmal einen potentiellen Bewerber um meine Hand sagen, er traue sich nicht, mich zum Tanzen aufzufordern, weil er Angst habe, sich an meinem Gesicht zu schneiden. Von dieser Bemerkung habe ich mich nie wieder richtig erholt, und sie erklärt wohl, warum ich unverheiratet geblieben bin und selten tanze.
    Nur zu gern hätte ich das Kinn gegen die Augen eingetauscht, doch ist mir aufgefallen, dass sich das Merkmal, mit dem ein Mensch führt, genauso wenig ändern lässt wie sein Charakter. Mein ausgeprägtes Kinn ist so versteinert wie die Fossilien, die ich sammele; es wird mir wohl ewig bleiben und, wie ich befürchte, die Menschen abschrecken.
    Mary Anning lernte ich in Lyme Regis kennen, der Kleinstadt, in der sie ihr ganzes Leben verbrachte. Niemals hätte ich gedacht, dass ich in so einem Ort landen könnte. Wir Philpots sind natürlich in London aufgewachsen, genauer gesagt am Red Lion Square. Von Lyme hatte ich zwar gehört, weil die modernen Seebäder, die damals überall aus dem Boden schossen, ein beliebtes Gesprächsthema waren, selbst besucht hatte ich es nie. Im Sommer bereisten wir Philpots meist Städte in Sussex wie Brighton oder Hastings. Als unsere Mutter noch lebte, bestand sie darauf, dass wir frische Luft atmeten und im Meer badeten. Sie hing den Lehren des Doktor Richard Russell an, der eine Dissertation über die wohltuenden Auswirkungen des Meerwassers geschrieben hatte, in dem man seiner Meinung nicht nur baden, sondern das man auch trinken sollte. Auch wenn ich mich weigerte, es zu trinken, ging ich gelegentlich zum Schwimmen. Am Meer fühlte ich mich heimisch, nur dass ich einmal wirklich am Meer wohnen würde, hätte ich nicht vermutet.
    Doch zwei Jahre nach dem Tod unserer Eltern verkündete mein Bruder eines Abends beim Dinner, dass er sich mit der Tochter eines befreundeten Anwaltskollegen unseres Vaters verlobt habe. Wir küssten John und gratulierten ihm, Margaret spielte einen Festwalzer auf dem Klavier. Nachts im Bett aber weinte ich, wie meine Schwestern vermutlich auch, denn wir wussten, dass dies das Ende unseres trauten Lebens in London sein würde. Hatte unser Bruder erst geheiratet, würden weder Platz noch Geld reichen, um uns alle am Red Lion Square wohnen zu lassen. Die neue Mrs Philpot würde natürlich die Herrin in ihrem Haus sein wollen und es mit Kindern füllen. Drei Schwestern waren einfach zu viel des Guten, insbesondere, wenn abzusehen war, dass sie unverheiratet blieben. Louise und mir war bereits klar, dass wir keinen Mann mehr finden würden. Wir hatten kaum Geld und hätten mögliche Ehemänner allein durch unser Aussehen oder ein gewinnendes Wesen überzeugen müssen, wozu aber weder das eine noch das andere taugte. Louise hatte zwar schöne Augen, die ihrem Gesicht Leben und Anmut gaben, war aber sehr hoch gewachsen – so hoch, dass die meisten Männer zu ihr aufschauen mussten –, und hatte zu allem Überfluss auch noch große Hände und Füße. Erschwerend hinzu kam ihre ausgeprägte Schweigsamkeit, mit der sie mögliche Bewerber verunsicherte, weil sie sich von ihr kritisch beäugt fühlten – was vermutlich sogar stimmte. Ich selbst war klein, hager und unscheinbar, konnte nicht flirten und versuchte stattdessen, über ernste Dinge zu reden, was die Männer erst recht abschreckte.
    Wir waren wie Schafe, die von einer abgeweideten Wiese auf die
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