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Zwei bemerkenswerte Frauen

Zwei bemerkenswerte Frauen

Titel: Zwei bemerkenswerte Frauen
Autoren: Tracy Chevalier
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einem Ichie hervor. Doch sie ging schnell und schien genau zu wissen, wo sie hin wollte. Als sie näher kam, sah ich, dass ihre grauen Augen strahlten, wie wenn ein Licht in ihnen scheinen würde. Ich atmete aus, dabei hatte ich gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.
    Und dann begann ich zu rennen. Ich schob die Leute aus dem Weg und hatte trotzdem das Gefühl, nicht vorwärtszukommen. Als ich bei ihr war, schlang ich die Arme um sie und begann vor der ganzen Stadt zu weinen. Vom Gemüsestand starrte mich Fanny Miller an, und Mam war mir nachgekommen, um zu sehen, wo ich hinwollte. Jetzt würden sie in der Stadt nicht mehr nur hinter meinem Rücken über mich reden, sondern ganz offen, aber das war mir egal.
    Wir sagten nichts, wir hielten uns nur fest und weinten. Ja, wir weinten beide, obwohl Miss Elizabeth sonst nie weint. So oft ich in meinem Leben den Blitzschlag gespürt habe – als ich die Ichies und Plesis fand, als ich mit Colonel Birch im Obstgarten war und als ich Monsieur Prévost kennen lernte –, nie hat er ein größeres Glück angezeigt, als ich in diesem Moment spürte.
    «Ich bin meinen Schwestern entwischt und wollte gerade zu dir kommen», sagte Miss Elizabeth, als wir uns endlich losließen. Sie trocknete sich die Augen. «Ich bin so froh, wieder zu Hause zu sein. Niemals hätte ich gedacht, dass ich Lyme so sehr vermissen würde.»
    «Ich dachte, der Doktor hat gesagt, Sie dürfen nicht mehr am Meer leben, weil Ihre Lungen zu schwach sind.»
    Als Antwort holte Miss Elizabeth tief Luft, hielt sie kurz an und ließ sie dann wieder heraus. «Was wissen die Londoner Ärzte schon von der Seeluft? Die Luft in London ist schmutzig. Hier geht es mir viel besser. Außerdem kann mich niemand von meinen Fischen fernhalten. Übrigens, vielen Dank für die Kiste mit Fischfossilien, die du für mich hingestellt hast. Sie sind entzückend. Komm, lass uns ans Meer gehen. Ich habe es noch gar nicht richtig gesehen, weil Margaret, Louise und Bessy mich nicht aus dem Haus lassen. Sie machen sich viel zu viel Sorgen.»
    Sie begann weiter die Broad Street hinabzugehen, und ich folgte ihr zögernd. «Sie werden wütend auf mich sein, wenn ich Sie ans Meer gehen lasse», sagte ich. «Sie sind sowieso schon wütend, weil ich Sie krank gemacht habe.»
    «Unsinn. Du hast mich doch nicht aufgefordert, einen ganzen Abend in einem zugigen Treppenhaus zu sitzen, oder?», schnaubte Miss Elizabeth. «Und auch nicht, mit dem Schiff nach London zu fahren. Für diese Dummheiten trage ich allein die Verantwortung.» So wie sie es sagte, tat ihr nichts von all dem Leid.
    Dann erzählte sie mir von der Tagung der Geologischen Gesellschaft: Wie Mr Buckland und Reverend Conybeare beschlossen hatten, an Cuvier zu schreiben, und wie Mr Buckland vor allen versammelten Herren nette Dinge über mich gesagt hatte. Und ich erzählte ihr von Monsieur Prévost und dem Plesiosaurier, der in die Sammlung von Monsieur Cuvier im Pariser Museum kommen würde. Es war so wunderbar, wieder mit ihr zu reden, aber trotzdem war mir dabei die ganze Zeit etwas mulmig zumute, denn ich wusste, dass ich etwas Schwieriges zu sagen hatte. Ich musste sie um Entschuldigung bitten.
    Als wir die Strandpromenade entlangspazierten, stellte ich mich vor sie, so dass sie nicht mehr weitergehen konnte. «Miss Elizabeth, all die Sachen, die ich gesagt habe, tun mir Leid», platzte es aus mir heraus. «Dass ich so stolz und eingebildet war und dass ich mich über Ihre Fische und Ihre Schwestern lustig gemacht habe. Ich war schrecklich gemein zu Ihnen, und das war falsch, wo Sie doch so viel für mich getan haben. Ich habe Sie all die Jahre vermisst. Und dann sind Sie auch noch wegen mir nach London gefahren und wären beinahe gestorben …»
    «Es reicht.» Elizabeth Philpot hob ihre Hand hoch. «Zunächst einmal sollst du mich Elizabeth nennen.»
    «Ich … gut. E… Elizabeth.» Ich fand es sehr komisch, nicht Miss zu sagen.
    Miss Elizabeth setzte sich wieder in Bewegung. «Und du musst dich nicht wegen meiner Reise nach London entschuldigen. Das war nämlich meine eigene Entscheidung. Ich bin dir sogar dankbar. Die Reise nach London auf der Unity war eine der schönsten Erfahrungen meines Lebens. Sie hat mich zum Besseren verändert und ich bedauere sie nicht im Geringsten.»
    Es war tatsächlich etwas anders an ihr, auch wenn ich nicht genau sagen konnte, was. Irgendwie wirkte sie bestimmter. Würde jemand sie zeichnen wollen, müsste er das mit
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