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Zwei auf Achse

Zwei auf Achse

Titel: Zwei auf Achse
Autoren: Werner Schrader
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zu lange dauerte, wieder einen Vorstoß.
    „Ihre Augen und Ohren sehen genauso aus wie die von Lutz“, rief er, „und die Nase kommt auch hin. Es gibt doch wohl keinen Zweifel, daß Sie sein Vater sind, oder?“
    „Möglich wäre es schon“, gab Herr Schnüpfing ohne Umschweife zu. „Aber ich kann mir das eigentlich gar nicht erklären. Hilde Ratjen, also deine Mutter, ist damals ohne ein Wort abgereist, nachdem wir gemeinsam die paar tausend Mark meiner Erbschaft verlebt hatten. Ich hörte von einer ihrer Kolleginnen da in dem Nachtlokal, daß sie von einem älteren Herrn mit einem piekfeinen Auto abgeholt worden sei. Von einem Kind aber habe ich nie etwas erfahren. Möglicherweise wußte sie zur Zeit ihres Verschwindens noch gar nicht, daß sie schwanger war. Oder aber sie wollte ihrem neuen Freund, der wahrscheinlich sehr viel Geld besaß, das Kind anhängen. Hat deine Mutter dir denn nicht gesagt, wer dein Vater ist?“
    Lutz schüttelte den Kopf.
    „Kein Wort“, sagte er, „vielleicht weiß sie es selber nicht.“
    Herr Schnüpfing nickte zustimmend.
    „Das ist durchaus möglich. Mit der Treue hat sie es nie genau genommen. Und bei den vielen Männerbekanntschaften, die sie hatte, war es sicher ein leichtes für sie, einen zu finden, der bereit war, das monatliche Kindergeld für dich zu bezahlen.“
    Sie waren still.
    Lutz hatte längst eine Zuneigung zu Herrn Schnüpfing gefaßt und merkte an Joachims Gesichtsausdruck, daß der ihn auch sympathisch fand. Darum nahm er sich ein Herz und sagte mit bebender Stimme:
    „Ich würde mich freuen, wenn Sie mein Vater wären, ich glaube, Sie sind in Ordnung.“
    Herr Schnüpfing fuhr sich hastig mit den Fingern über die Augen, sog hörbar die Luft ein und schluckte heftig, als er das hörte.
    „Sag das noch einmal!“ bat er.
    Lutz merkte, wie bewegt der Mann war, und wiederholte mit zitternder Stimme: „Ich glaube, Sie sind ein guter Mensch.“ Und dabei konnte er es nicht verhindern, daß ihm die Tränen über die Wangen liefen. Er wandte sich ab und weinte hemmungslos. Die Anspannung der letzten Tage war zu groß gewesen, jetzt konnte er sie nicht länger ertragen.
    Herr Schnüpfing schluchzte auch. Er fuhr Lutz über das Haar und sagte: „Mein Junge, mein lieber Junge! Ja, ich spüre, daß ich dein Vater bin. Wie schön, daß du mich gefunden hast! Du glaubst ja nicht, wie allein ich bin! Jetzt habe ich einen Sohn.“
    Der Wärter räusperte sich hinter seiner Zeitung. Die erste Begegnung von Vater und Sohn schien ihm auch nahe zu gehen. Joachim hob die Blumen auf, die Herrn Schnüpfing heruntergefallen waren, drehte sich um und begann sie zu zählen. Er mochte nicht zusehen, wie die beiden sich in den Armen lagen. Daher empfand er es beinah als eine Erlösung, als der Beamte nach abermaligem Räuspern sagte, daß die Besuchszeit nun leider zu Ende sei.
    „Ich schreibe Ihnen... dir“, sagte Lutz, „und schick dir auch ein Bild von mir, wenn du eins haben möchtest.“
    „Natürlich möchte ich“, antwortete Herr Schnüpfing. „Ich antworte dir sofort und steck’ dir auch ein Bild mit in den Brief. Und wenn ich hier ‘rauskomme, besuche ich dich. Vielleicht kriege ich sogar in der Nähe von dir eine Arbeit.“
    Lutz nickte. Und als er seinem Vater die Hand gab, drückte der ihn noch einmal heftig an sich.
    Da standen sogar Joachim die Tränen in den Augen. „Du mußt mir alles schreiben“, flüsterte Lutz, „alles aus deinem Leben, wo du geboren bist und was du so gemacht hast und alles! Auch von der Schule und deinen Lehrern und deinem Beruf will ich alles wissen.“
    „Du kriegst einen zehn Meter langen Brief“, sagte Herr Schnüpfing, „ich hab’ hier ja viel Zeit zum Schreiben. Aber von dir möchte ich auch gern alles wissen.“
    „Ich schreibe dir sofort, wenn ich wieder zu Hause bin!“ rief Lutz. „Du kannst dich darauf verlassen!“
    Vier Minuten später stand er mit immer noch feuchten Augen vor Herrn Tepel und berichtete.
    „Er ist tatsächlich mein Vater“, sprudelte er los, „und ein ganz prima Mensch! Er sieht auch toll aus, nicht Joachim? Die Augen und Ohren hat er von mir, ich meine, hab’ ich von ihm. Ein bißchen blaß ist er natürlich, weil er ja wenig an die Luft geht, aber das legt sich schon wieder, wenn er erst ‘raus ist aus dem Gefängnis. Er kommt dann zu mir nach Bremen und will da Arbeit suchen. Aber vorher schreibt er mir einen langen Brief, zehn Meter lang, hat er gesagt, weil er ja Zeit genug hat,
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