Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)

Titel: Zurück ins Licht (Das Kleeblatt)
Autoren: Hansi Hartwig
Vom Netzwerk:
Stethoskop vom Boden aufgehoben. Hastig hing er es sich um den Hals. Seine Hände zitterten unkontrolliert, als er ein Taschentuch aus der Hosentasche zog und sich erneut bückte. Dann ließ er etwas in die Tasche seines Arztkittels gleiten. Er bebte vor Anspannung und trat hinter Karo, damit sie sein Gesicht nicht sah, und legte ihr behutsam die Arme um den Oberkörper. Er bemerkte das krampfhaft unterdrückte Schluchzen.
    „Warum hat er das getan?“
    Danilos Körper versteifte sich unwillkürlich. Hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft. Wusste sie etwa, dass Angel …
    Nein! Ausgeschlossen! Das hätte sie nie zugelassen, selbst wenn sie von Angels Vorhaben lediglich etwas geahnt hätte. Er musste mit seinen Äußerungen vorsichtiger sein. Zu oft hatte er erlebt, dass sein Verstand in Urlaub gehen konnte, wenn Karo etwas fühlte. Seine Logik würde nie imstande sein, gegen das Gefühl seiner Frau anzukommen. Sie durfte die Wahrheit nicht erfahren. Niemals!
    „Angel hat einzig und allein für diesen Augenblick überlebt – dich noch einmal sehen, dir ein letztes Mal sagen, wie sehr er dich liebt. Etwas anderes wollte er drei lange Jahre nicht. Dafür ist er durch die Hölle gegangen. Mach ihm keine Vorwürfe, Karo. Wenn ein Mensch derart gedemütigt und misshandelt wird, immer und immer wieder, jahrelang, dann zerbricht irgendwann seine Seele. Dann verliert er seinen Platz unter den Menschen.“
    Überwältigt von Trauer wischte er sich über die brennenden Augen, bevor er leise fortfuhr: „Und findet sich nicht mehr unter ihnen zurecht. Er hat gewusst, dass er sterben wird. Dieses Martyrium konnte er nicht überleben. Es war nicht bloß seine Niere, die geschädigt war. Eine Transplantation hätte ihm das Leben nicht gerettet. Er hatte unvorstellbare Schmerzen und nie hat er darüber geklagt. Zum Schluss haben wir Angel in immer kürzeren Abständen Morphin geben müssen, damit er diese permanenten Schmerzen ertragen konnte.“
    Inzwischen war ihm klar, dass Angel das Inferno erlebt hatte. Etwas, das niemand alleine ertragen konnte. Angel hatte es ausgehalten, indem er sich aufspaltete, Sein und Bewusstsein voneinander trennte, die Empfindungen von Wahrnehmung und Erinnerung. Und auch die Erinnerung hatte er in winzige Bruchstücke aufgesplittert, die im Einzelnen gerade noch erträglich waren. Das Unerträgliche zu dissoziieren und möglichst unerreichbar im Inneren abzulegen, war eine Fähigkeit, über die die menschliche Psyche verfügte. Sie hatte Angel das Leben gerettet, weil das Erlebte so grauenvoll war, dass er verrückt geworden oder gestorben wäre, hätte er es bei vollem Bewusstsein ertragen müssen.
    Danilos sanftes Streicheln beruhigte Karo allmählich. Ihre Tränen waren getrocknet, als er mit fester Stimme einen Schlussstrich zog und sagte: „Der Tod war eine Erlösung für Angel, das musst du mir glauben. Und er ist mit der Gewissheit gegangen, dass du ihm seinen letzten Wunsch erfüllen wirst.“
    Beh utsam drehte er Karo zu sich um, ohne seine Arme von ihr zu lösen. Fast lautlos und unbemerkt von Karo hatten zwei Männer in weißen Kitteln das Zimmer betreten. Danilo wollte verhindern, dass sie dabei zusah, wie die Pfleger das Kopfteil des Bettes nach unten klappten und seinen Freund mit einem Laken zudeckten. Erst als das leise quietschende Krankenbett aus dem Zimmer geschoben wurde, fuhr die junge Frau aufgeschreckt herum. Ihr wehmütiger Blick hing an dem unter dem Tuch verborgenen Körper.
    „Wir wollten gestern essen gehen“, bemerkte sie völlig zusammenhanglos und holte zittrig Luft. Es interessierte sie nicht im Geringsten, warum aus ihrer Verabredung vom Abend zuvor nichts geworden war, und mit dem gleichen Desinteresse kam Danilos Antwort.
    „Du hast Recht. Und ich habe es nicht vergessen , kam nur etwas verspätet hier an. Vor Dienstschluss bekamen wir einen Unfall mit mehreren Schwerverletzten in die Notaufnahme. Das hat sich bis kurz vor Mitternacht hingezogen.“
    „Warum hast du mich nicht geweckt?“
    „Das wollte ich , aber Angel sagte, das Bett wäre breit genug für euch beide. Und dass es ihm nichts ausmachen würde, wenn du … bei ihm schläfst.“
    „Und dir? Hat es dir etwas ausgemacht?“
    Danilo schaute seiner Frau lange stumm in die Augen, bevor er antwortete: „Angel hat mich gebeten, dich nicht zu wecken. Wir haben uns eine geraume Weile unterhalten, du dagegen hast dich nicht einmal von unserem Gelächter stören lassen. Du warst nach diesem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher