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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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charismatischen, aber auch selbstherrlichen Ehemanns. Sie liebte ihn und seine Ideale ihr ganzes Leben lang mit aller Leidenschaft.
    Die Bereitschaft, sich von einem älteren Ehemann sowohl in häuslichen als auch in gesellschaftlichen Angelegenheiten zwar leiten zu lassen, ohne dabei jedoch die eigene Individualität aufzugeben, war damals eher unüblich. Die indischen Frauen dieser Zeit wurden dazu erzogen, sich ihren Ehemännern gegenüber ehrfurchtsvoll zu verhalten, und waren nicht notwendigerweise aktive Partnerinnen ihrer Männer. Trotz ihrer großen Kinderschar verbrachten Dil-Aram und Siraj viel Zeit miteinander. Er machte sie mit seiner größten Leidenschaft, der Dichtung, vertraut, und sie bewahrte seine Notizbücher voller Gedichte nach seinem Tod wie einen Schatz.
    Meine Großeltern lebten in Srinagar in einem verwinkelten Holzhaus mit vielen Erkerfenstern und breiten Veranden, das mein Großvater nach seinem ältesten Sohn Bashir aus erster Ehe Bashirabad taufte. Zweifellos war dies eine patriarchalische Geste, die Kontinuität garantieren sollte.
    In der Küche dieses Hauses hing ein Rezept für Lamm Pulao an der Wand. Viele Jahre später verriet mir mein jüngster Onkel die Herkunft dieses Rezepts. Anfang der vierziger Jahre, im damals noch ungeteilten Indien, kam ein berühmter Küchenchef namens Baba Rorha aus Lucknow zu Besuch nach Srinagar. Mein Großvater hatte ihn in der Hoffnung, dass er eben dieses Rezept seiner jungen Braut Dil-Aram geben würde, dazu überredet, das Gericht zuzubereiten. Die magische Zutat war dabei eine rosafarbene Schalotte, praan genannt, die in die Brühe gegeben wurde. Erstaunlich ist, dass man in einem Haus mit einer Bibliothek voller Erstausgaben, unzähliger wertvoller Teppiche und einer umfangreichen Sammlung von Jagdgewehren diesem Rezept so großen Stellenwert beimaß.
    Der Aufenthalt des legendären Küchenchefs in Bashirabad lieferte dann den Stoff für eine denkwürdige Familienanekdote. Der wazwaan war nämlich unglaublich verschwiegen. Die junge Dil-Aram sah nur, wie die verschiedensten Zutaten aus ihrer Vorratskammer verschwanden, während der Küchenchef in der Freiluftküche im großen Garten hinter dem Haus arbeitete, einer Küche, die an die mobilen Küchenbrigaden der Mogularmeen erinnerte, die vor langer Zeit in Indien eingefallen waren. Ein Onkel meiner Großmutter, der gerade zu Besuch war, hatte die geniale Eingebung, den Küchenchef davon zu überzeugen, dass er es als eine große Ehre ansehen würde, wenn er auf einem Klappstuhl still neben ihm sitzen dürfe. Er spielte seine Rolle als Spion der Familie in höchster Vollendung. Mit einem ausgezeichneten Gedächtnis gesegnet, gab er schon bald ein ganzes Kompendium an Zubereitungstechniken an seine junge Nichte Dil-Aram weiter. Diese Begabung, aus dem Gedächtnis kochen zu können, war, wie bereits erwähnt, eine Eigenschaft meiner Familie.
    Mein Großvater war ein Meister, wenn es darum ging, Atmosphäre zu schaffen, und übernahm ebenfalls eine bedeutende Rolle bei dieser Gelegenheit. Als das Brutzeln gebratener Zwiebeln, das Knirschen zerstoßener Gewürze und das Klappern übergroßer Töpfe zu einem geradezu ohrenbetäubenden Lärm anschwoll, ging er in seine Bibliothek hinauf, um ein Gedicht über eben dieses Ereignis zu schreiben. Mit wechselnden Metaphern und sogar unter Verwendung kulinarischer Anspielungen erfreute er später seine Gäste mit einem poetischen Vortrag. Das Zusammenspiel von Gedichtrezitation und dem Genuss eines guten Essens gehörte seit jeher zur Mogulkultur. Die Moguln waren der Meinung, dass man einem vortrefflichen Menü nur dann gerecht wurde, wenn man alle Sinneseindrücke in Einklang brachte; die Melodie der Sprache sollte dabei das Verdauungssystem auf das Essen vorbereiten und den Gaumen stimulieren, während sie gleichzeitig die Fantasie anregte.
    Obwohl Bashirabad sich bestimmt nicht mit den Palästen der Moguln mit ihren von flachen Teichen umgebenen Gedichtpavillons messen konnte, ließ die Begeisterung meines Großvaters für die Poesie niemals nach. Er liebte vor allem die persische Dichtung und unterhielt einen lebenslangen Briefwechsel mit Muhammad Iqbal, dem bedeutendsten moslemischen Dichter des modernen Indiens. Aber auch die Dichtung meines Großvaters blieb nicht unbeachtet. Während des Ersten Weltkriegs
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