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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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mir, dass der Samowar gerade gereinigt würde und dass ich dabei zusehen solle, denn wenn ich einmal erwachsen sei und einen eigenen Haushalt zu führen hätte, müsste ich wissen, wie man das macht.
    Der Samowar meiner Großmutter war ein großes, wie ein Krug geformtes Gefäß aus gehämmertem silbernem Metall mit einer Tülle auf der einen und einem Henkel auf der anderen Seite. Ihre Küchenhilfe, ein junger Mann mit kurz geschnittenem Haar, hob den Deckel, kippte den Samowar zur Seite, so dass ein Strom glühender Kohlen aus dem Heizrohr in der Mitte durch den Rost am Boden in das offene Feuer des Herds fiel. Dann ließ er den Samowar ein paar Minuten lang abkühlen, ehe er begann, die innere Kammer sauber zu schrubben.
    Schließlich stellte er ihn für den nächsten Morgen auf einem Regal bereit, auf dem bereits ein kleiner Untersetzer aus Stein lag.
    Während der Samowar gereinigt wurde, hielt mir meine Großmutter auf ihre unaufdringliche Weise einen Vortrag in Geschichte. Ich konnte förmlich die Hufe der mongolischen Ponys klappern hören, während sie über die Weiten der Wüste Gobi auf die hohen Berge des Hindukusch und des Karakorum zugaloppierten. Die Mongolen waren ein Nomadenvolk und verbrachten ihr ganzes Leben in Bewegung. Ihre Ess- und Kochgeräte mussten deshalb so gestaltet sein, dass sie sich leicht transportieren ließen. Also entwarfen sie den äußerst logisch konstruierten Samowar, der in einem einzigen Gefäß sowohl eine Kammer für das Brennmaterial wie auch eine separate Kammer zum Erhitzen von Flüssigkeit vereinte. Der Samowar sollte später auch in Russland und anderen Teilen Europas Verwendung finden. In Südasien wurde er oft mit regionalen Handwerkstechniken und Mustern verziert. Die Türken und Perser fügten glänzende Emailscheiben mit detailreichen Motiven und komplizierte Hähne hinzu. Silber wurde lediglich als Plattierung verwendet, als bevorzugtes Metall kam Kupfer zum Einsatz.
    Meine erste Begegnung mit kaschmirischem Tee im Hause meiner Großmutter hatte etwas überaus Geheimnisvolles an sich. Ich verließ die Küche und ging in den offenen, sonnendurchfluteten Hof hinaus. Im gleißenden Licht schimmerte die grüne Küchentür einen Augenblick lang wie eine Fata Morgana. Selbst das zweistöckige Haus, das sich über dem Hof erhob, schien sich in einem surreal anmutenden Winkel zu neigen. In diesem Moment hatte ich ein Bild aus meiner frühen Kindheit vor Augen. Ich sah mich in einer winzigen Nische unter einigen starken Holzbalken sitzen. Neben mir kauerte ein kleiner Junge, mein Spielkamerad. Wir hielten beide eine kleine Metallschüssel mit frischen grünen Erbsen, die mit Zucker bestreut waren, in der Hand. Die Erbsen hatten wir von einem Erwachsenen bekommen, den Zucker jedoch hatten wir stibitzt, was auch der Grund dafür war, dass wir uns versteckten.
    Als mich diese Erinnerung überkam, hatte ich das Gefühl, als hätte mir gerade ein Geist auf die Schulter getippt. Es war der Geist von Bashirabad, der Geist des Hauses meiner Großeltern in Srinagar. Die kleine Nische befand sich unter der Treppe in eben jenem Haus, und der kleine Junge war mein erster Cousin. Ich hing dem langsam verblassenden Bild nach und wusste weder, dass ein Land geteilt und eine Heimat verloren war, noch, dass meine bezaubernde Großmutter all ihre Privilegien hatte aufgeben müssen.

    Obwohl der Bürgerkrieg großen Einfluss auf das Leben meiner Großeltern nahm, verbrachten sie in der Stadt Srinagar im Staat Kaschmir eine wunderbare Zeit. Meine Großmutter, deren Name damals noch Zuun lautete, war Anfang des zwanzigsten Jahrhunderts gerade sechzehn Jahre alt geworden, als sie einwilligte, meinen Großvater, Khan Sahib Sirajuddin Ahmad Dar zu heiraten. Er war Anfang dreißig, Witwer, hatte fünf Kinder und besaß den Anspruch auf ein ererbtes Dorf und einen Titel. Er sprach fließend vier Sprachen und genoss den Ruf eines literarisch gebildeten Mannes, eines Dichters und eines Gourmets. Zuun war die Blume, die er in Dil-Aram verwandelte, was »Leichtigkeit des Herzens« bedeutete, da er fand, dass nur dieser Name ihrer Schönheit würdig sei.
    Sie wurde ihrem Namen schnell gerecht und ließ sich in ihrer Gelassenheit durch nichts und niemanden beeinträchtigen. Sie schenkte ihm acht Kinder, nahm Englischunterricht und ertrug jede Laune ihres
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