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Zum Tee in Kaschmir

Titel: Zum Tee in Kaschmir
Autoren: Nazneen Sheikh
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Großvaters als lokalem Gourmet zweifellos ernsthaften Schaden zugefügt.
    Die Begeisterung meiner Großeltern für die kaschmirische Küche hinterließ bei den folgenden drei Generationen unserer Familie seine Spuren. Die Mythenbildung erreichte dabei geradezu absurde Ausmaße. Die einzige Küche, die es wert war, sie zu genießen, war die kaschmirische - jede andere Küche in Indien war reine Hochstapelei. Ein einziger kaschmirischer Apfel konnte ein ganzes Zimmer parfümieren. Gekochter Basmatireis konnte eine ganze Straße mit Wohlgeruch erfüllen. Frischer kaschmirischer Kohl veränderte sein Aroma sieben Mal; eine kaschmirische Feige war so groß wie die Faust eines Erwachsenen! Dies waren einige der Äußerungen der Könige der Küche, die ich in meiner Kindheit immer wieder hörte.

    Manchmal kann auch ein einfacher Gegenstand zu einem Symbol der Familiengeschichte werden. In unserer Familie war es ein Samowar, der als eine Zeitmaschine über drei Generationen hinweg weitergegeben wurde. Es war ein kupferner Samowar, der in der Stadt Peshawar, der Hauptstadt der pakistanischen Nordwestprovinz hergestellt worden war. Ein sentimentales Geschenk, das mir mein Vater nach Kanada geschickt hatte. Dort stand er dann auf dem obersten Brett meines Küchenregals und staubte langsam ein, bis ich eines Tages einige beim Barbecue übrig gebliebene Holzkohlebriketts in kleine Stücke brach, sie anzündete und mit Hilfe einer Zange in die Brennkammer legte. Dann kochte ich Tee und servierte ihn zwei kleinen kanadischen Mädchen, meinen Töchtern, für die »Moguln« und »Kaschmir« nichts anderes als exotisch klingende Fremdwörter waren. Dennoch sollte später eine von ihnen, die durchaus als Mogulprinzessin hätte durchgehen können, den Samowar selbstbewusst als Geschenk von mir fordern. Da ich davon überzeugt war, dass sie ganz offensichtlich in ihrer Studentenbude den trommelnden Hufschlag mongolischer Reiter gehört haben musste, erlaubte ich ihr, einen winzigen Teil meiner Geschichte mit sich fortzutragen.
    Das magische Reich meiner Großmutter, wo Speis und Trank, gewürzt mit viel Liebe, zur hohen Kunst wurden, war für mich jedoch ein viel größeres Geschenk als der Samowar. Ich genoss das Privileg, eine Art von Familienmärchen erlebt zu haben, und sah es als meine Aufgabe an, dieses kulturelle Erbe zu bewahren, denn ich stellte fest, dass der Traum der Moguln in Staub gehüllt war und ihre großartige Küche in Vergessenheit zu geraten drohte, auch wenn der strahlende Glanz der Mahlzeiten, die die Mitglieder meiner weitverzweigten Familie zubereiteten und genossen, für sie zum täglichen Leben gehörte. Ich erkannte schließlich die Dimensionen einer Esskultur, die Kunst, Geschichte und Essen mühelos miteinander vereint.
    Viele Jahre nach diesem denkwürdigen Frühstück, bei dem ich Zeuge wurde, wie sich eine Hand voll grüner Teeblätter in eine seltene Köstlichkeit namens kaschmirischer rosa Tee verwandelte, spürte ich, wie sich das Leben meiner Großmutter wie ein großer Bildteppich vor mir entrollte. Es war das Jahr 1986, und ich stand am Ufer eines Sees in Srinagar, beschattet von einem indischen Nachrichtenoffizier, der wohl fest davon überzeugt war, dass ich gekommen sei, um wie meine Mogulvorfahren sein Land zu erobern. Bei diesem Besuch behandelten mich meine Verwandten, für die ich zu diesem Zeitpunkt eine vollkommen Fremde war, wie eine verlorene Tochter. Ihre Gastfreundschaft war überwältigend. Sie verwöhnten mich in ihrem bescheidenen Zuhause mit den köstlichsten Speisen.
    Meine älteste Tante besaß einen Samowar, der einen Meter hoch war und aus dem sich ihre stämmigen Söhne während des Tages literweise kaschmirischen Tee einschenkten. Als ich sie nach dem legendären Bashirabad fragte, herrschte einen Moment lang betretenes Schweigen. Dann sagten sie mir, dass die indische Regierung einen Verwalter bestimmt hätte, da die jetzigen Eigentümer des Anwesens in Pakistan lebten. Als ich dann einige Tage später darauf bestand, das Zuhause meiner Familie zu besuchen, musste ich erst einmal über einen riesigen Haufen von Gerümpel klettern, um überhaupt ins Haus zu gelangen. Stumm ging ich dann durch die verlassenen Räume und fasste dabei den Entschluss, meiner Familie niemals von den Gefühlen zu erzählen, die mich in
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