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Zuhause in deinen Armen

Zuhause in deinen Armen

Titel: Zuhause in deinen Armen
Autoren: Sara Wood
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flüchtig. Für Matt, wie gewöhnlich. Wann würde er endlich gesund werden?
    Auf dem Flurtisch stapelten sich die ungeöffneten Briefe.
    "Geht es dem Kleinen gut?" fragte der Postbote in fast demütigem Ton.
    Morgan seufzte. Neugier war anscheinend stärker als Furcht. "Sehr gut."
    "Er muss jetzt etwa fünf Wochen alt sein. Darf ich ihn einmal ansehen?"
    Es wäre äußerst unfreundlich gewesen, diese harmlose Bitte abzuschlagen, obwohl die Versuchung groß war. Außerdem würde Jack während der kommenden Monate noch mehr Neugier wecken. Vorsichtig lüftete Morgan das Frotteetuch, in das er den nassen Jack eingewickelt hatte, und lächelte zärtlich, als ihm zwei kleine pechschwarze Augen entgegensahen.
    „Ganz der Vater", versicherte der Postbote und schnitt für den kleinen Jack komische Grimassen.
    "Tatsächlich?"
    Morgan vermochte beim besten Willen nicht einzusehen, warum ein winziges stupsnäsiges Wesen, das gerade erst das Licht der Welt erblickt hatte, einem erwachsenen Mann gleichen sollte. Trotzdem hatten bisher alle eine verblüffende Ähnlichkeit mit Matt festgestellt!
    Schuldgefühl und Zorn begannen Morgan wieder zu plagen. Es war eine Qual, so hin und her gerissen zu sein. Er blickte wie blind auf das Baby und verachtete sich für das, was er getan hatte. Er war wütend, er hasste sich, und die Sorge machte ihn fast krank.
    "Es tut uns allen sehr Leid, dass Mr. Frazer plötzlich wieder ins Krankenhaus musste", fuhr der Postbote mit ehrlicher Anteilnahme fort. "Wie geht es ihm?"
    "Sein Zustand ist kritisch." Morgans schroffer Ton verriet, wie es in ihm aussah.
    "O weh! Das Schicksal hat es nicht gerade gut mit ihm gemeint, seit er im letzten Sommer hierher gezogen ist." Der Postbote legte kurz die Hand auf Morgans Arm. "Sie haben seiner Frau ein schönes Begräbnis ausgerichtet. All die tröstlichen Worte ...“
    Morgan widersprach nicht. Teresa war nicht Matts Frau gewesen, und dieser Umstand hatte wesentlich zu ihrem Tod beigetragen. Der Postbote meinte es gewiss gut, aber für Morgan war es eine Qual, an den Tag erinnert zu werden, an dem sie Teresas Sarg bei strömendem Regen in die Grube hinabgelassen hatten.
    Danach hatten ihm Teresas Londoner Freunde ihr Beileid ausgedrückt. Sie kannten das Geheimnis der Toten, die Morgans Geliebte gewesen war, ehe sie sich für Matt entschied. Morgan erinnerte sich noch gut an ihre verstohlenen Blicke und das Getuschel hinter vorgehaltener Hand. Einmal hatte er jemanden sagen hören: "Der arme Morgan ... er liebt sie immer noch und kommt über ihren Tod nicht hinweg."
    Was für ein Heuchler er war! Wie gut er lügen und betrügen konnte! Die Erinnerung war zu viel für ihn. Er hielt es nicht länger aus.
    "Danke", sagte er und vermied es, sich zu räuspern.
    Das nutzte der Postbote aus. "Wirklich nett von Ihnen, dass Sie sich um das Baby kümmern", meinte er. "Wenige Männer würden das tun. Sie sind wohl ein naher Verwandter?"
    "Nicht direkt, und jetzt entschuldigen Sie mich bitte." Das fehlte Morgan noch
    - sich nach den Familienverhältnissen aushorchen zu lassen und diese dann endlos bei einer Tasse lauwarmen Kaffees zu erörtern. "Jacks Badewasser wird kalt."
    Morgan schloss die Tür und drückte Jack zärtlich an seine Brust. Wer sollte das kleine Wesen vor anderen schützen, wenn nicht er? Vielleicht war es gut, dass Matts Tochter nicht auf den Hilferuf reagiert hatte. Sie hätte Jacks Zukunft gefährdet, und dass hätte er nicht ertragen.
    Teresas Tod war ein furchtbarer Schock gewesen. Mit allem hatte er gerechnet, aber damit nicht. Und jetzt? Die Täuschung, auf die er sich eingelassen hatte, ließ sich immer schwerer aufrechterhalten. Jedes Mal, wenn er Matt besuchte, erhob sich das Geheimnis von Jacks Geburt wie ein drohendes Gespenst und trübte die Beziehung zu dem Mann, den er bewunderte, verehrte und mehr als jeden anderen Menschen liebte.
    Morgan stöhnte leise auf. Die Wahrheit herauszuschreien würde für ihn eine unendliche Erleichterung, aber für Matt ein Todesurteil sein. Darum musste er das äußerste Opfer bringen und schweigen, solange Matt lebte. Seine eigenen Wünsche mussten zurückstehen. Es ging darum, zwei Menschen zu schützen, die schwächer waren als er und seine Hilfe brauchten.
    "O Jack", flüsterte er. "So klein und schwach du auch bist ... du ahnst nicht, welches Leid du anderen verursachst."
    Jack sah ihn mit seinen blanken dunklen Augen an und bewegte die Lippen, als suchte er die Mutterbrust.
    "Armer kleiner Kerl."
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