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Zug der Traeume

Zug der Traeume

Titel: Zug der Traeume
Autoren: Ruthie Knox
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schlechten Fernsehserien gucken.
»Ich möchte bloß Josh nicht anstecken.«
Nur eine absolute Rabenmutter würde ihr Kind einer solchen Bazillenschleuder aussetzen. Eine sehr böse, sehr selbstsüchtige Rabenmutter.
    Ich bin keine Rabenmutter. Normalerweise nicht. Aber in meinem Leben ist kein Platz für kranke Babysitter. Ich muss in vierzig Minuten an der Uni dozieren und habe mich noch nicht mal vorbereitet. Danach habe ich Sprechstunde und Termine mit neun Studenten hintereinander, die mit mir über Hausarbeiten sprechen wollen, an die sie noch keinen einzigen Gedanken verschwendet haben. Ich muss noch ein Kapitel meiner Doktorarbeit zu Ende schreiben, vorausgesetzt, ich schaffe es, nicht gefeuert zu werden, wenn ich der Universitätsleitung mit einer Vertragsverlängerung zum Herbst komme.
    Manchmal zieht Josh den Kürzeren, doch ich tröste mich damit, dass ich ihn weitaus öfter ziehe.
    Ich bin kein schlechter Mensch. Andererseits bin ich auch kein so guter, dass ich meiner Babysitterin sage, sie soll zu Hause bleiben. Das wird ihr eine Lehre fürs Leben sein: Sag niemals Ja, wenn du Nein meinst.
    Hätte ich diese Lektion früher gelernt, hätte ich zu meiner Schwester Nein gesagt, als sie mich gefragt hat, ob sie mich als Vormund für ihr Kind in ihr Testament aufnehmen darf. Dann wäre ich nicht die Mutter eines neun Tage alten Säuglings geworden, als Paige, ihr Mann und meine dreijährige Nichte Ava von einem betrunkenen Autofahrer umgebracht wurden.
    Andererseits hätte ich Josh jetzt nicht, und ihn nicht zu haben ist für mich völlig unvorstellbar geworden.
    Honigsüß sage ich zu der Babysitterin: »Kommen Sie doch bitte! Er hat starke Abwehrkräfte. Wenn Sie sich wirklich mies fühlen, lassen Sie ihn Zeichentrickfilme gucken!«
    Natürlich wird Josh am nächsten Tag krank.
    Er schläft schlecht, wird im Stundentakt wach und ruft nach mir. Ich stelle ihm einen Luftbefeuchter ins Zimmer, reibe ihm den Rücken ein und rede ihm gut zu, bis er wieder einschläft, aber als er zum dritten Mal aufwacht, gebe ich die Hoffnung auf, selbst ein bisschen Schlaf zu bekommen. Ich wiege ihn stundenlang im Arm und singe ihm Lieder vor, wenn er unruhig wird.
    Er schmiegt seinen Kopf an meinen Hals, ich spüre seinen warmen Atem an meiner Haut und fühle mich so schuldig. So unzulänglich.
    Ich hätte meine Sprechstunde absagen und bei ihm bleiben sollen. Ich sollte ihn in eine Kindertagesstätte geben, doch das kann ich mir nicht leisten. Mein Gehalt ist jämmerlich, und ich habe Kredite abzubezahlen. Also nehme ich mit ein paar Babysittern vorlieb und sage mir, dass Josh zu Hause besser dran ist, wenn er so viel Zeit wie möglich mit mir verbringt.
    Aber wenn ich bei ihm bin, gebe ich eine abgelenkte Mutter ab, die immer versucht, so viel wie möglich zu arbeiten und zu putzen. Er will nur mich – meine Aufmerksamkeit, meine Liebe –, und ich will sie ihm geben, nur dass ich auch noch so viel anderes will.
    Als Paige und ich klein waren, dachten wir beide, wir würden eines Tages große Familien haben. Ich habe mir einen Ehemann und drei Kinder ausgemalt, wie sich jedes kleine Mädchen eben häusliches Glück vorstellt. Dann ging ich aufs College und verbrachte den Sommer nach meinem zweiten Jahr als Betreuerin in einem Jugendlager in Colorado. Der Job war gnadenlos. Blockhütten voller Achtjähriger, drei Wochen am Stück. Die Kinder hörten nicht eine Sekunde auf, etwas von mir zu wollen. Ich hatte das Gefühl zu ersticken.
    Und da kam ich zu dem Schluss, dass ich nicht für die Mutterrolle geschaffen bin. Ich bin sowieso immer die bessere Schülerin gewesen. Ich habe mich auf die Schule konzentriert und das mit dem Kinderkriegen Paige überlassen. Sie hat ihren Ehemann gefunden, ihren Buchbindekreis, ihr häusliches Glück. Ich ging aufs Graduiertenkolleg und machte auf nicht ernst zu nehmende Weise mit nicht ernst zu nehmenden Jungs rum.
    Ich streichele Josh über den Rücken, atme gegen das solide Gewicht seines Körpers an meinem Hals, meinen Brüsten, meinem Bauch. Um nichts in der Welt würde ich ihn hergeben.
    Ich will, dass er alles hat, aber er hat nur mich.
    Lisas Studenten nennen sie Lisa. Meine nennen mich Professor Sharp. Ich schätze, das ist kein Zufall. Ich bin zwar nett, aber streng. Ich schmeiße sie raus, wenn sie während der Vorlesung SMS schreiben, und ich erzähle ihnen Dinge über die Indianerstämme und das Privileg des weißen Mannes, die ihr behagliches Weltbild erschüttern.
    Meine
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