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Zug der Traeume

Zug der Traeume

Titel: Zug der Traeume
Autoren: Ruthie Knox
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habe ich acht Profile von ihm gefunden, jedes mit einem eigenen Bild. Er hat ganze Arbeit geleistet, wie acht verschiedene Männer auszusehen. Ich meine, ich konnte erkennen, dass er es war – dieselben haselnussbraunen Augen, dasselbe sandfarbene Haar auf jedem Foto. Aber er schien sich in jeder Verkleidung zu Hause zu fühlen.
    Ich zeigte es Lisa, die meinte, er sei ein Spinner. So weit war ich auch schon gewesen. Trotzdem war ich überrascht, mit welcher Überzeugung sie es sagte. Genau diese Spinnereien sprachen mich an. Ich war damals die meiste Zeit völlig aus dem Fokus – als wäre ich nicht mehr ich selbst, aber auch kein neuer Mensch. Sondern ein Klumpen mit Füßen.
    Dieser Typ wusste etwas, das ich nicht wusste. Er wusste, wie man mit Leichtigkeit seine Identität wechselte, mit einem Glanz in den Augen, der zu sagen schien:
Ich hab mehr Spaß als du.
    Ich schickte ihm eine E-Mail. Ich musste über die Partnerbörse gehen, also kannte er mich nur als Mandy und ich ihn nur als Chet Baker.
    Was ich mag: Pork-Pie-Hüte, Westküsten-Jazz, Heroin. Was ich nicht mag: langes Gerede.
    Er teilte mir mit, dass er Regeln habe. Er wollte nicht wissen, wie ich mit Nachnamen heiße oder womit ich mein Geld verdiene, und er wollte mir auch nichts über sich erzählen. Genau das Gegenteil von dem, wozu uns die Partnerbörse ermutigte.
    Ich akzeptierte seine Grenzen und versuchte, ihn in ein lockeres Gespräch über Musik, Filme, Bücher zu verwickeln. Er lud mich zu einem Date ein. Oder zu so was Ähnlichem.
    Er schlug vor, dass wir uns an einem Dienstagabend um acht Uhr am Tor des National Railroad Museums treffen. Ich sollte etwas anziehen, das ins Jahr 1957 passt.
    Lisa meinte, der Typ hätte sie nicht alle und ich sollte mich ja von ihm fernhalten. Aber mir gefiel die Idee, mich kostümiert mit ihm zu treffen. Wenn er so tun konnte, als wäre er Chet Baker oder wer auch immer, konnte ich auch so tun, als wäre ich die Ausgabe von mir, die keinen vier Monate alten Säugling hatte. Ich konnte mein früheres, überkommenes Ich sein, eine kompetente Doktorandin, die nicht wegen jeder Kleinigkeit in Tränen ausbrach.
    Ich schätze, ich verriet mein neues Ich, doch ich mochte es nicht besonders.
    Lisa erklärte sich zum Babysitten bereit. Sie half mir, einen Reiseanzug aus gekochter Wolle und eine Quelle für schwere Seidenstrümpfe ausfindig zu machen. Mit Lumpen drehten wir mir Korkenzieherlocken.
    Als ich auf dem Parkplatz aus dem Auto stieg, fiel mir als Erstes der schiefe Winkel seines Hutes auf. Er trug ein dunkel kariertes Jackett mit Einstecktuch und im Mundwinkel eine Zigarette, die er nie anzündete, und die Art, wie er sich an die Backsteinmauer des Museums lehnte, hatte etwas Zwielichtiges, das mich beruhigte.
    »Du kannst sein, wer du willst«, sagte er zu mir, ehe er mich zum Luftkissenzug führte. »Hauptsache, du bleibst in der Rolle.«
    Das National Railroad Museum – eine wesentlich weniger große Angelegenheit, als der Name vermuten lässt – beherbergt ein paar Dutzend Züge. Einige sind auf den umliegenden Rasenflächen verteilt, aber die meisten, einschließlich des unglaublichen von General Motors entworfenen Aerotrain von 1950, stehen aufgereiht in einem riesigen Außenverschlag, der an beiden Enden Wind und Wetter ausgesetzt ist.
    Nur die allerbesten Züge – die seltensten, gut erhaltenen – befinden sich drinnen, im Lenfestey Center. Im Hauptgebäude sind auch ein paar Ausstellungsstücke, die Mitarbeiterbüros und ein Souvenirladen untergebracht. Viermal am Tag wird eine Zugfahrt auf den Schienen rund um das Gelände angeboten.
    Es ist ein wunderliches Museum, weder groß noch klein, komplett über Spenden, Zuschüsse, Eintrittsgelder und Mitgliedsbeiträge finanziert. Eher mittelmäßig interessant für eine Stadt mit hunderttausend Einwohnern. Typisch Green Bay.
    Bis zu jenem Abend war ich noch nie da gewesen.
    Die Lok des Aerotrain war ein Geschoss, aber im Inneren rochen die Waggons nach Mäusenestern und verbrauchtem Öl, und anfangs hatte ich Probleme damit, so zu tun, als ob. Ich konzentrierte mich auf das Trapez seines Rückens, das sich vor mir durch den Zug bewegte. Darauf, wie sein Hut über seinen Ohren saß.
    Lisa hatte mich ermahnt, auf Nummer sicher zu gehen und meine Hand am Pfefferspray in meiner Handtasche zu lassen, bis ich wusste, dass er kein Psychopath war. Aber als ich ihn vor mir gehen sah, wurde er zu einem ganz normalen Typen in einem Zug, und ich hatte keine
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