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Zuflucht Im Kloster

Zuflucht Im Kloster

Titel: Zuflucht Im Kloster
Autoren: Ellis Peters
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Mitleid.«
    Es war möglich, daß er recht hatte, und immerhin war er von schmaler Statur, schmächtig und klein. Er mochte höchstens zweiundzwanzig sein, gewiß nicht älter.
    »Gut, Liliwin, dann schlaf, wenn du kannst. Du brauchst den Schlaf, und ich werde da sein. Du mußt dich nicht fürchten, ich werde die Augen offen halten.«
    Cadfael setzte sich auf den Stuhl des Abtes und kürzte die Dochte der Kerzen, so daß er seinen Schützling gut sehen konnte. Sie schwiegen, und die Stille, die eintrat, war sehr tröstlich. Draußen mochten zahlreiche Gefahren lauern, aber hier war das Gewölbe über dem Chor wie eine schützende Hand, die ihren bedrohten und gefährdeten Frieden bewahrte.
    Cadfael war seltsam berührt, als er nach einiger Zeit zwei große Tränen sah, die aus Liliwins Augen quollen, langsam über seine Wangen rollten und auf die Decke fielen.
    »Woran denkst du? Was quält dich?« Als es um ihn selbst ging, hatte er gezittert, aufbegehrt, energisch widersprochen, aber nicht geweint.
    »Mein Rebec – ich hatte ihn bei mir im Gebüsch, in einer Tasche aus Leinen. Und als sie mich aufstöberten – ich weiß auch nicht, wie es passiert ist… der Schulterriemen muß sich in einem Zweig verfangen haben. Ich habe mich nicht getraut stehenzubleiben und im Dunkeln danach zu suchen… und jetzt kann ich nicht hinaus! Ich werde ihn nie wiederbekommen!«
    »Im Gebüsch, auf dieser Seite des Flusses, jenseits der Landstraße?« Cadfael konnte den Kummer des Jungen verstehen. »Du kannst nicht hinaus und danach suchen, nein, noch nicht, das stimmt. Aber ich kann gehen. Ich werde versuchen, deinen Rebec zu finden. Nachdem sie dich aufgestöbert hatten, haben sich deine Verfolger bestimmt nicht um ein Musikinstrument gekümmert – gut möglich, daß der Rebec noch im Gebüsch liegt. Schlaf jetzt, und mach dir keine Sorgen. Es ist zu früh, um zu verzweifeln«, sagte Cadfael.
    »Zum Verzweifeln«, fügte er mit Nachdruck hinzu, »ist es immer zu früh. Denk daran und laß den Mut nicht sinken.«
    Liliwin öffnete die Augen und warf ihm einen erstaunten Blick zu. Cadfael sah den Widerschein der Kerzen in den blauen Augen des Jünglings, bevor dieser sie wieder schloß. Wieder trat Stille ein. Cadfael lehnte sich im Stuhl des Abtes zurück und bereitete sich auf eine lange Nachtwache vor. Vor der Primwürde er, um zu vermeiden, daß Liliwin Prior Roberts Mißfallen erregte, den Jungen wecken und auf einen anderen, weniger priviligierten Platz setzen müssen. Bis dahin mochten Gott und seine Heiligen über ihn und den jungen Flüchtling wachen – für einfache Sterbliche gab es im Augenblick nichts zu tun.
    Sobald an diesem klaren Maienmorgen das erste Tageslicht den Dingen ihre Farbe zurückgab, erhob sich Griffin, der Lehrling des Schlossers, der in der Werkstatt schlief, von seinem Strohlager und ging hinaus, um vom Brunnen auf dem Hinterhof Wasser zu holen. Von den Bewohnern der beiden Häuser, die sich den Hof teilten, war Griffin immer als erster auf den Beinen und hatte gewöhnlich schon Feuer gemacht und alles für das Tagwerk vorbereitet, wenn der Geselle seines Meisters, der zwei Straßen entfernt wohnte, eintraf. Für Griffin war es heute ganz klar, daß diejenigen, die gestern lange gefeiert hatten, kaum in der Lage sein würden, früh aufzustehen und ihre Arbeit zu beginnen. Griffin selbst war nicht zu dem Fest eingeladen gewesen, aber Frau Susanna hatte Rannilt mit einem Teller Fleisch und Brot, einem Stück Kuchen und einem Krug Dünnbier zu ihm geschickt, und er hatte sich sattgegessen und tief geschlafen, ohne irgend etwas von dem Geschrei zu vernehmen, das um Mitternacht ausgebrochen war.
    Griffin war dreizehn Jahre alt, der Sohn einer Dienstmagd und eines fahrenden Kesselflickers. Er war kräftig, hübsch, hatte ein einnehmendes Wesen und geschickte Hände, aber er war ein Einfaltspinsel. Baldwin Peche, der Schlosser, bildete sich viel auf seine Güte ein, weil er einem solchen Tölpel Arbeit und Unterkunft gab, aber in Wirklichkeit verhielt es sich so, daß Griffin, obwohl sein Verstand etwas langsam war, eine ausgeprägte Begabung für praktische Fertigkeiten besaß und mehr einbrachte, als sein Meister für seinen Unterhalt ausgab.
    Der große Holzeimer, dessen alte Dauben innen und außen abgenutzt und zerkratzt waren, tauchte aus der Tiefe auf und er glänzte im ersten Sonnenlicht. Griffin füllte seine beiden Krüge und wollte den Eimer wieder in den Brunnen hinablassen, als er das
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