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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition)
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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jede Unze Gold wieder zu ersetzen – ich hätte es auch mit dieser komischen ZUCKERLEBEN -Stanzmarke und dem Logo der Zuckerfabrik von Dondușeni versehen, da hätt der Wadim nix gemerkt. Und ich hatte ja auch nur 8   Goldbarren von seinen 70 verwendet. Blöderweise ist Hlebnik dann auf den idiotischen Gedanken gekommen, sofort nach Amerika auszuwandern, als es ihm hier mit der Krise zu heiß wurde und er es heftig mit der Angst zu tun bekommen hatte, die Geschichte mit der Schnapsbrennanlage drüben in Dondușeni könnte auffliegen. Der ist zu mir rauf nach Otaci, mitten in der Nacht, als würden ihn die Türken hetzen, und sagt mir: ›Hör zu, Dyoma, morgen geh ich nach Amerika. Bitte bereite meine 70   Kilo Zuckerleben vor!‹ Und da wusste ich, dass ich schnell eine Entscheidung treffen musste.
    Und ich wusste, dass ich nicht schwach sein durfte. Drum hab ich den Hlebnik ins Gästegemach gebracht und ihn schlafen gelegt. Selber aber hab ich mich in der Orangerie eingesperrt und so reflektiert: Wenn ich dem Hlebnik sage, dass ich acht von seinen Goldbarren genommen hab, wird er mächtig sauer sein. Er wird denken, dass ich ihn hintergehe, seine Apparatschik-Kumpanen im Innenministerium einschalten, mich ruck, zuck enteignen und per Schnellverfahren in irgendein unbeheiztes Strafarbeitslager in der Tungusker Tundra verfrachten, und das ist natürlich keine Bar-Mizwa, wie unser Otacier Rabbi Moshe Gutenberg sagt. Und da ist’s mir melancholisch zumute geworden. Weil mich Hlebnik im Grunde genommen jederzeit bei den Eiern hätte packen können, schon in den Achtzigern eigentlich – ich meine, was war ich als parteiloser Zigeunerspekulant schon in der Union wert, gell, und das wusste der Hlebnik auch, der Schlawiner. Und die Roma-Gemeinde in Otaci … Die 5000 geld- und arbeitslosen Seelen. Was wär aus denen geworden?
    Weil, das Weltbild des Otacier Zigeuners ist einfach. Er weiß: Gott hat ihn gemacht mit zwei Armen, zwei Beinen, einem Kopf, zwei Ohren, einem Mund, zwei Augen und einem Haufen Problemen. Und dass der Bulibascha von Otaci, also ich, da ist, um seine Probleme zu lösen. Und was macht der Otacier Zigeuner, wenn der Bulibascha nicht mehr da ist, für ihn nicht mehr da sein kann? Da überlegt er sich analytisch, wo es sich auf der Welt gut lebt, packt seine Sachen und beantragt politisches Asyl in Deutschland. Und da dachte ich mir, dass es eigentlich um das Leben von 5000 Seelen geht gegen das Leben von Hlebnik.
    Kurzum, ich hab Hlebnik stranguliert … Es war eine harte, aber richtige Entscheidung. Wie siehst du das, Batyuschka?«
    Stille.
    Derimedont verdaut die erhaltene Information des Bulibaschas. Denkt nach. Und fragt den Roma schließlich nach einer längeren Pause:
    »Kannst du denn ruhig schlafen?«
    Der Bulibascha erzählt dem Protodiakon von den Hlebnik-Erscheinungen.
    »Da hast du deine Antwort also. Die Welt der Getöteten ist stärker als die ihrer Mörder, und die Rache der Toten ist schrecklicher als die der Lebenden.« Derimedont nennt dem Roma einige belehrende Beispiele aus der Bibel hierzu, etwa die Geschichte des Brudermörders Kain, wie sich Samuels Seele an Saul gerächt hat oder was mit König David nach seiner Anordnung, Urija den Hethiter beseitigen zu lassen, passiert ist.
    Bulibaschas beunruhigte Stimme meldet sich unter Derimedonts Epitrachelion wieder zu Wort.
    »Und was wäre dann aus den 5000 Otacier Roma geworden?«
    »Vielleicht hat Gospod Gott ihnen das Schicksal gegeben, als Flüchtlinge in Deutschland zu leben … Weißt du’s?«
    Stille.
    »Und was kann ich jetzt tun, Batyuschka?«
    »Buße musst du tun, Tudorel-Deomid, viel Buße. Und vielleicht wird sich dann Gospod Gott deiner Seele gnädig zeigen und Hlebnik dir verzeihen«, antwortet Derimedont und fordert Tudorel-Deomid auf, sich zu erheben und kurz auf ihn zu warten. Der Protodiakon verschwindet mit dem Weihrauchschwenker in der Sakristei.
    Als Derimedont von dort mit einigen Parastas-Kerzen für Hlebniks Seele zurückkehrt, erblickt der Corbulaner Protodiakon Tudorel-Deomid vor dem Spendenkästchen der St.-Dumitru-Kirche. In seiner linken Hand hält der Bulibascha einen pummeligen Stapel D-Mark aus Nichifors des Reinen Chiquita-Bananen-Kisten. Konzentriert faltet Tudorel-Deomid jeden Schein einzeln und schiebt das Geld geduldig und mit einem frommen Gesichtsausdruck in den engen Schlitz der Box hinein.

ABSCHIED
    1991. DONDUȘENI, REPUBLIK MOLDOVA
    Alles gepackt!
    Alles vorbereitet!
    Der
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