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Zuckerleben: Roman (German Edition)

Zuckerleben: Roman (German Edition)

Titel: Zuckerleben: Roman (German Edition)
Autoren: Pyotr Magnus Nedov
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auf und zeigt ihnen eine Tafel mit dem Aufdruck ROMA-CHI ș IN ă U EXPRESS.
    »Wer hätte das gedacht. Aber die Sache mit dem Transportunternehmen für Personen- und Warenverkehr zwischen Italien und Moldawien hat tatsächlich gut funktioniert. Und funktioniert jetzt immer noch gut, trotz Eurokrise.«
    Vadim legt die Tafel wieder in den Kofferraum zurück.
    »Und was macht ihr so mit eurem Leben?«
    Einige Minuten nach Mitternacht ist es so weit. Tolyan Andreewitsch öffnet die georgische Teedose, die seit über zwanzig Jahren die Asche der Italienischlehrerin Nadja Pilipciuc enthält. Und schüttet sie über dem Lago di Barrea aus. Der Wind weht die Asche über den See.
    Am nächsten Tag wachen Cristina und Angelo erst spät auf. Die italienischen Teenager liegen eine Weile schweigend nebeneinander in ihrem kleinen Zelt. Cristina erzählt Angelo von ihrem Plan, eine Zeit lang zu verreisen. Die Italienerin schwärmt von der Unbeschwertheit der zwei kanadischen Jungs in der Agip-Tankstelle, deren Motorrad Angelo angepisst hatte:
    »Sie, diese kanadischen Jungs, die fahren einfach so auf einen anderen Kontinent, um sich die Welt anzuschauen. Und sind frei! Nicht wie wir, die wir in so einer komischen Zuckerfabrik arbeiten, bis sie uns rausschmeißen. Ich möchte auch so frei sein können. Und Rocco vergessen.«
    Angelo liegt auf seinem Schlafsack und hört Cristina aufmerksam zu.
    »Und wo genau willst du hin?«
    »Kanada.«
    »KANADA?«
    »Ja, Kanada.«
    »Und warum so weit weg?«
    »Ich brauche Abstand von Rocco, Abstand von diesem beschissenen Zuccherificio in Termoli und Abstand von Italien generell, viel Abstand … Es gibt außerdem einen Tätowierer in Montréal, Jérôme Labatte heißt er, der soll super sein. Vielleicht kann ich ihn dazu überreden, mir das Tätowieren beizubringen. Und dann, mal schauen, was das Leben so bringt …«
    »Und was ist mit mir?«
    Angelo verlässt das Zelt.
    Draußen ist niemand zu sehen. Die Moldawier sind verschwunden.
    Verdutzt schaut Angelo sich um, aber der Platz, auf dem sich am Abend zuvor noch so viele Menschen getummelt haben, ist wie ausgetauscht.
    Es ist keiner da.
    Cristina kommt aus dem Zelt herausgekrochen und fängt an, ihre Sachen zu packen. Angelo sieht ihr zu.
    »Und wie willst du die ganze Sache finanzieren?«
    »Ich finde schon was.«
    Lustlos greift Angelo zu seinem Rucksack, um sich etwas zu trinken rauszunehmen. Und da sieht er es: Ein schlichtes Jutesäckchen. Angelo nimmt es in die Hand, spürt die raue Faser des Stoffes. Etwas Hartes, Schweres befindet sich darin. Der italienische Teenager schnürt das Jutesäckchen auf. Und findet einen kleinen Brief.
    Einst, als mir kurz nach Nadjas Tod der Lebensmut derart sank, dass ich nicht mehr wusste, was ich mit mir anfangen sollte, hat sich der alte Ilytsch zu mir hingesetzt, sich eine Weißmeerkanal-Papirossa angezündet und gesagt: »Junge, du sollst keine Angst haben zu leben, um deine Träume zu verwirklichen.«
    Leider konnten wir heute früh nicht mehr auf euch warten und sind zeitig los (wegen der Berlusconi-Großdemo heute in Rom), sodass ihr alleine nach Castel di Sangro kommen müsst. Aber vielleicht wird euch diese Wanderung guttun. Der Weg dorthin ist einfach, ihr folgt der Strada Statale 83, der See zu eurer Rechten bis Barrea und von dort über Alfedena nach Castel di Sangro.
    Zum Abschied gebe ich euch eine Pomană mit auf den Weg, eine Gabe für die Seele der Toten, wie man bei uns sagt. Und wünsche euch ein Zuckerleben, Krise hin oder her.
    Tolyan Andreewitsch
    Außerdem liegen zwei Goldbarren in dem Jutesäckchen. Angelo nimmt einen heraus und streicht sanft über die eingestanzte Inschrift ZUCKERLEBEN und das Logo der Dondușenier Zuckerfabrik. Das Gold glänzt in der Mittagssonne.
    Angelo schaut rüber zu Cristina, die ganz mit dem Packen ihrer Sachen beschäftigt ist – sie hat nichts bemerkt.
    »Darf ich mitkommen nach Kanada?«
    »Du willst mitkommen?«
    »Sì!«
    Cristina lächelt Angelo an.
    »Von mir aus.«
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