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Zu Schnell

Zu Schnell

Titel: Zu Schnell
Autoren: John Boyne
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Er hat immer getan, was ich sage.«
    Ich wollte mich auch hinsetzen, aber wo? Es wäre nur die Bettkante in Frage gekommen, und das fand ich irgendwie unpassend.
    »An dem Nachmittag habe ich ihm erklärt, was ›Klingelputzen‹ ist. Du hast das sicher auch schon gemacht, oder?«
    »Ja, klar«, sagte ich. »Man klingelt bei irgendwelchen Leuten und rennt dann weg. Früher haben wir das dauernd gemacht.«
    »Das Haus auf der anderen Straßenseite«, fuhr sie fort. »Nummer 42. Die Leute da haben einen großen Hund, und wenn man bei ihnen vorbeigeht, hört man ihn immer drinnen bellen – er bellt irrsinnig laut. Ich habe zu Andy gesagt, dass er es garantiert nicht schafft, auf die andere Straßenseite zu gehen und die Einfahrt raufzuschleichen, ohne dass der Hund ihn hört – und dass er sich erst recht nicht traut, dann auch noch zu klingeln und wegzurennen. Ich wollte ihn von meinem Fenster oben beobachten. Und er hat gesagt, klar traut er sich. Er schlich ganz langsam die Einfahrt hinauf, und an der Haustür hat er zu mir hochgeschaut, und er hat gegrinst und mit dem Daumen nach oben gezeigt, weil der Hund nicht gebellt hat. Dann hat er sich umgedreht und auf die Klingel gedrückt. Und ich wusste es gleich – jetzt ist der Hund im Haus verrückt geworden. Andy ist nämlich vor Schreck zurückgezuckt und losgesaust, ohne eine Sekunde zu überlegen, er ist einfach nur gerannt, ohne nach rechts und links zu sehen, direkt auf die Straße, und genau in dem Moment ist …«
    Sie schlug wieder die Hände vors Gesicht, und diesmal schluchzte sie laut.
    »Sarah«, sagte ich – aber ich hatte keine Ahnung, wie ich sie trösten könnte.
    »Verstehst du, was ich meine, Danny?« Sie blickte zu mir hoch. »Es ist alles meine Schuld. Wenn ich nicht dieses blöde Spiel mit Andy gespielt hätte – wenn ich nicht zu ihm gesagt hätte, er traut sich nicht, bei der Nummer 42 zu klingeln …«
    »Dann hätte Mam ihn nicht angefahren«, vollendete ich den Satz für sie. Ich merkte, wie ich wütend wurde. Je länger ich darüber nachdachte, desto wütender wurde ich. »Und sie glaubt, es war alles ihre Schuld! Aber das stimmt gar nicht!«
    Ich wollte Sarah erzählen, was bei uns zu Hause los war, nur weil sie mit ihrem Bruder so eine bekloppte Mutprobe gemacht hatte – aber plötzlich hörte ich Stimmen auf dem Flur. Sarah und ich drehten uns beide im selben Moment zur Tür, dann schauten wir einander erschrocken an.
    »Das sind meine Eltern!«, flüsterte Sarah. Sie war kreidebleich. »Du musst dich verstecken. Sie sind bestimmt total böse, wenn sie dich hier erwischen. Schnell – unters Bett!«
    »Wie bitte?«
    »Kriech unters Bett«, befahl sie hektisch. »Die Laken gehen bis auf den Boden. Da sieht dich keiner.«
    Ich schaute zum Bett und zu Andy. Nein, da unten wollte ich auf keinen Fall liegen.
    »Das kann ich nicht. Unmöglich.« Ich schüttelte heftig den Kopf.
    »Danny – dir bleibt gar nichts anderes übrig!«, flüsterte sie. Die Tür öffnete sich ein Stückchen. Draußen auf dem Flur unterhielt sich eine Frau mit einem Arzt. »Schnell!« Sarah schubste mich, und schon krabbelte ich über den Boden und unters Bett. Gerade noch rechtzeitig. Ich hörte, wie die Tür vollends aufging und vier Füße durch den Raum trappten.
    »Sarah, da bist du ja!«, rief die Frau. Sie war schon sehr nah bei mir. Bestimmt beugte sie sich zu Andy hinunter, um ihn zur Begrüßung zu küssen. Ich konnte sogar ihr Parfüm riechen und hörte, wie sie leise »Hallo, mein kleiner Schatz« flüsterte.
    »Hast du geweint?«, fragte Sarahs Vater.
    »Ein bisschen«, antwortete Sarah.
    »Es tut mir weh, wenn ich sehe, wie traurig du bist«, sagte ihre Mutter mit einem lauten Seufzer. »Wenn ich mir überlege, was diese Frau unserer Familie angetan hat …«
    Ich presste die Lippen zusammen, weil ich merkte, dass ich fast rasend wurde vor Zorn. Hoffentlich sagte sie nicht etwas Gemeines über meine Mam – dann konnte ich nämlich für nichts mehr garantieren.
    »Wir haben gerade mit Dr. Harris gesprochen«, sagte der Vater. »Er denkt, dass Andys Zustand stabil ist. Das ist ein gutes Zeichen. Es wird auf jeden Fall nicht schlimmer.«
    »Ich glaube, wir sollten es ihr sagen, Michael.«
    »Was sollt ihr mir sagen?«, fragte Sarah.
    Eine Weile schwiegen alle, dann sagte ihr Vater: »Wir waren heute Nachmittag auf dem Polizeirevier. Dort hat man uns bestätigt, dass gegen Rachel Delaney keine Anzeige erstattet wird und …«
    »Kannst
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