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Zu Schnell

Zu Schnell

Titel: Zu Schnell
Autoren: John Boyne
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Geburtstag, und du hast gesagt, dass du …«
    »Russell, ich habe doch schon gesagt, dass es mir leidtut«, zischte sie. »Ich bin aufgehalten worden und habe mich verspätet!«
    »Du hattest gar nicht vor, pünktlich zu sein.«
    »Ach, red doch keinen Quatsch, Russell! Halt einfach die Klappe, Himmelherrgott!«, schrie sie los, und wieder erschraken wir alle – außer Dad, der ganz ruhig blieb. Doch dann erhob er sich und baute sich vor ihr auf.
    »Schrei. Mich. Nicht. An!«, sagte er überdeutlich und machte nach jedem Wort eine Pause.
    »Rachel, Liebling, komm, setz dich hin, ich wärme dir was auf und …«
    »Sie bekommt gar nichts«, verkündete Dad streng und warf Oma einen vernichtenden Blick zu, so dass sie sofort verstummte und gehorsam nickte. Sie wusste, wer hier im Haus der Boss war. »Wenn sie es nicht schafft, rechtzeitig zum Essen zu kommen, dann gibt es leider nichts für sie.«
    Ich hörte, wie Mam empört nach Luft schnappte, aber ich wagte es nicht, sie anzusehen. Sie japste noch einmal, und es klang fast wie ein Lachen. »Wenn ich nicht rechtzeitig komme, gibt es nichts für mich?«, wiederholte sie fassungslos. »Wie alt bin ich deiner Meinung nach? Acht Jahre? Oder schon neun? Ja, Mutter, es wäre nett, wenn du etwas für mich aufwärmen würdest.«
    »Bleib sitzen, Belinda«, zischte Dad und ging noch näher auf meine Mutter zu. Er schaute sie an, als würde er sie gar nicht kennen. Stumm und mit angehaltenem Atem verfolgten wir die Szene. Als Mam jetzt etwas sagte, klang sie ganz unsicher, als wüsste sie, dass eine Auseinandersetzung anstand, die sie schon lang erwartet hatte, der sie aber lieber ausgewichen wäre. Sie wollte die Debatte noch verschieben, einen Tag vielleicht, bis sie wieder mehr Kraft hatte …
    »Es tut mir leid«, flüsterte sie mit Tränen in den Augen.
    »Mir reicht’s, Rachel«, sagte Dad. »Und da spreche ich für uns alle.«
    » Dir reicht’s?«, rief Mam da wütend. Plötzlich hatte sie ihre Stimme wiedergefunden. So ist sie jetzt, dachte ich, man weiß nie, was als Nächstes kommt. Von einem Moment zum anderen kann sich alles verändern. » Dir reicht’s? Du hast doch keine Ahnung, wie das ist – auf deinem Gewissen lastet nicht dieses bleischwere Gewicht, Russell. Du bist nicht derjenige, der beinahe ein Kind getötet hat. Du musst nicht damit leben.«
    »Aber du auch nicht!«, erwiderte Dad und wich keinen Zentimeter zurück. »Es war ein Unfall. Der Junge lebt noch. Und Danny lebt auch noch, falls dir das entgangen sein sollte. Und Pete lebt noch. Was ist mit unseren Kindern? Kannst du nicht zur Abwechslung mal wenigstens eine Minute an unsere Kinder denken?«
    Ich drehte mich um, weil ich Mams Gesicht sehen wollte. Mir kamen jetzt auch die Tränen. Aber Mam schaute mich nur kurz an, dann schüttelte sie den Kopf.
    »Im Augenblick gibt es nur ein Kind, das zählt«, sagte sie, und ich wusste, sie meinte nicht mich. Normalerweise hätte ich gedacht, dass sie von Pete redete, weil er ihr Liebling war, aber ich wusste genau, heute Abend war das einzige Kind, das zählte, der kleine Andy.

    Viel später, so gegen halb zwölf Uhr nachts, rollte ich die Mülltonnen raus, weil sie am nächsten Morgen geleert wurden. Da hörte ich eine Stimme.
    »Danny!«, rief diese Stimme. »Danny! Hier drüben!«
    Ich drehte mich um, weil ich nicht wusste, woher die Stimme kam, und in dem Moment trat jemand hinter einem Baum hervor.
    »Sarah!«, sagte ich und ging auf sie zu.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Aber ich wusste echt nicht, ob ich noch mal herkommen soll.«
    »Ich bin froh, dass du da bist.«
    »Ich kann nicht lang bleiben«, sagte sie. »Wenn sie merken, dass ich nicht zu Hause bin, gibt’s einen Riesenzoff.«
    Ich nickte. Das konnte ich mir gut vorstellen. Ich wollte ihr erzählen, dass heute mein Geburtstag war, aber ich wusste nicht, wie ich es sagen sollte. Wie hätte sie reagiert? Hätte sie mich vielleicht geküsst?
    »Ich wollte dich was fragen«, sagte sie.
    »Was?«
    »Was hast du am Montag vor?«
    »Nichts. Wieso?«
    »Ich gehe am Nachmittag allein ins Krankenhaus«, sagte sie. »Mam und Dad kommen erst abends. Begleitest du mich?«
    Ich zögerte, weil ich nicht wusste, wie ich das fand. Wollte ich sehen, was Mam ihrem Bruder angetan hatte? Oder lieber doch nicht? Stumm starrte ich auf den Boden. Vielleicht war es keine so gute Idee.
    »Bitte, Danny. Ich möchte, dass du ihn siehst.«
    »Warum hast du eigentlich gesagt, dass alles deine Schuld
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