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Zu keinem ein Wort

Titel: Zu keinem ein Wort
Autoren: Lutz van Dijk
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wir untertauchen konnten, auch wenn dies nicht immer nur gute Erfahrungen waren.
    Tante Cok und Tante Mies wurden 1968 in Israel als ›Gerechte unter den Völkern‹ geehrt, die höchste Auszeichnung des israelischen Staates für Nichtjuden. Viele von uns ehemaligen Kindern, die überlebt haben, waren zu der Ehrung nach Jerusalem gekommen.
    Frans W. erhielt diese Auszeichnung 1984 in den Niederlanden und Onkel Wim, Tante Berta und Vic wurden noch nach ihrem Tode 1997 auf diese Weise geehrt.

»ICH BIN CILLY«
    Nachwort von Cilly Levitus-Peiser
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    Â»Zu keinem ein Wort!« Die Stimme von Tante Cok klingt noch in meinem Ohr. Damals, 1943, war ich siebzehn Jahre und saß verängstigt neben ihr in der Bahn, die mich aus Amsterdam in mein erstes Versteck aufs Land bringen sollte - unter falschem Namen und mit gefälschten Papieren. Viele meiner Freundinnen und Freunde waren schon abgeholt worden von den Nazis. Dass meine Mutter und mein kleiner Bruder Jossel bereits ermordet worden waren, wusste ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
    Die Stimme von Tante Cok, leise, damit wir nicht auffielen, und gleichzeitig mit einem freundlichen Blick, der mich beruhigen sollte - ich höre sie noch heute, wo ich mich allmählich meinem achtzigsten Lebensjahr nähere. Das Verstecken, das Anpassen, das Aufgeben der eigenen Identität, aber auch der Wille zum Durchhalten und für meine jüngere Schwester Jutta zu sorgen - all das hat mir damals geholfen zu überleben, aber es hat auch mein Leben bis heute geprägt.
    Â»Zu keinem ein Wort!« Erst vor ein paar Jahren habe ich begonnen zu sprechen, zu erzählen, mitzuteilen,
mich zu öffnen, all das, was ich in mir verschlossen hatte, langsam hinauszulassen, nicht nur gegenüber den eigenen Kindern und Enkelkindern, sondern auch gegenüber einer interessierten Öffentlichkeit. Ich bin eingeladen worden, als Zeitzeugin vor Kindern und Jugendlichen in Schulen aufzutreten. Danach kommen manchmal Journalisten, die noch ein Interview machen möchten. Im niederländischen Fernsehen ist ein Dokumentarfilm gesendet worden, in dem ich über meine Zeit in Amsterdam berichte.
    Allmählich entstand in mir der Wunsch, die Geschichte meiner Kindheit und Jugend so aufzuschreiben, dass sie im Zusammenhang erzählt wird. Nicht nur die Teile, nach denen mehr oder weniger zufällig gefragt wird. Allein traute ich mir diese Aufgabe jedoch nicht zu. So war ich sehr froh, als es mit Unterstützung des Jüdischen Museums in Frankfurt gelang, den deutsch-niederländischen Autor Lutz van Dijk für diese Aufgabe zu gewinnen.
    Die Zusammenarbeit war viel intensiver, als ich je gedacht hätte. Lutz und ich sind dabei Freunde geworden, auch wenn er es mir nicht immer leicht gemacht hat. Oft hat er nachgefragt, wenn irgendwo etwas widersprüchlich erschien, er hat in Archiven in Deutschland und Holland geforscht, wenn ich historische Hintergründe selbst nicht kannte oder mich an bestimmte Details beim besten Willen nicht mehr erinnern konnte.
    Â 
    Was jetzt in diesem Buch als meine Geschichte vorliegt, stimmt nach meiner Erinnerung: So habe ich es erlebt. Ich weiß von manchen Freunden und Bekannten, die
diese Zeit auch durchgemacht haben, dass sie einiges genauso, manches ähnlich und einiges völlig anders im Gedächtnis behalten haben. So ist das. Ich behaupte nicht, die absolute Wahrheit zu beschreiben, sondern nur jene Wirklichkeit, wie ich sie erlebt habe und mich heute daran erinnere. Es ist meine Wahrheit.
    Die einzige Einschränkung, die ich dagegen machen muss, lautet: Nicht alles und alle sind erwähnt. Da wir uns für die Form einer Erzählung entschieden haben, war es wichtig, so anschaulich wie möglich zu berichten. Für die meisten jungen Leute heute ist die damalige Zeit vermutlich gefühlsmäßig ebenso weit weg wie das Mittelalter. Die ausführlichen Schilderungen mir besonders wichtiger Szenen gingen auf Kosten der Vollständigkeit aller Erlebnisse und Begegnungen, die ich damals bis zum Ende des Krieges hatte, weil sonst das Buch sicher am Ende über tausend Seiten gehabt hätte. Es tut mir Leid, dass ich nicht alle Menschen erwähnen konnte, die ich damals traf und die auf die eine oder andere Art zwar nicht vergessen sind, aber in dieser Erzählung keinen eigenen Raum gefunden haben. Auch sind auf Wunsch einiger, die im Buch eine Rolle spielen, nur die Vornamen genannt
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