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Zu gefährlicher Stunde

Zu gefährlicher Stunde

Titel: Zu gefährlicher Stunde
Autoren: Marcia Muller
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Fachwissen ich jetzt am dringendsten brauchte.
    Doch Craig hatte etwas anderes vor.
»Ich wollte gerade laufen gehen und dann beim Buchladen in Fort Mason
reinschauen.«
    »Können wir uns nachher im Büro
treffen?«
    »Im Büro. Also ich weiß nicht, Shar. Es
ist ein wunderschöner Tag, da sitze ich ungern drinnen.«
    Schön war er tatsächlich: klarer blauer
Himmel, sanfte Brise, die warme Sonne ließ die Stadt ganz sauber glänzen, als wären
alle Häuser frisch gestrichen. Genau die Art von Tag, die sich die Bewohner in
den nebligen Sommermonaten herbeisehnen.
    »Ich hab eine Idee«, sagte ich. »Wir
können uns in Fort Mason treffen. Ich kaufe ein paar Sandwiches, dann machen
wir auf einem Pier ein Picknick und können dabei reden.«
    »Wenn du ein paar Flaschen Sierra
Nevada dazuschmeißt, bin ich dabei.«
     
    Nach einem kurzen Abstecher in den
Supermarkt am Jachthafen fuhr ich an den Booten vorbei, die am östlichen Ende
vor Anker lagen, und weiter durch das Tor von Fort Mason. Der ehemalige
Militärstützpunkt, von dem im Zweiten Weltkrieg Schiffe ausliefen und Nachschub
geliefert wurde, wirkte heute seltsam verlassen, und ich fand ohne Mühe einen
Parkplatz. Das überraschte mich ein wenig, da das Gelände, das heute zur Golden
Gate National Recreation Area gehört, über vierzig karitative Organisationen,
vier Museen, ein weithin bekanntes vegetarisches Restaurant und fünf Theater
beherbergt und jedes Jahr Tausende von Veranstaltungen bietet. Wo also steckten
die ganzen Leute? Vermutlich am Strand und in den Parks.
    Ich schloss meinen MG ab und ging zu
einem der vier lang gestreckten Gebäude mit den roten Dachziegeln, ehemalige
Lagerhäuser, in denen auch die »Friends of the San Francisco Library« ihren
Buchladen betrieben. Craig saß davor auf einer Bank und blätterte in einer
illustrierten Ausgabe von Grimms Märchen.
    »Willst du dir Angst machen?«
    Er sah lächelnd hoch, und Fältchen
kräuselten sich um Mund und Augen. »Adah hat angefangen, Kinderbücher zu
sammeln. Ich kenne mich damit nicht aus, aber das hier finde ich ganz hübsch — obwohl
erschreckend viele haarige Ungeheuer mit Fangzähnen darin auftauchen.«
    »Die Brüder Grimm sind keine leichte
Kost.«
    Craig stand auf und verstaute das Buch
in einem Stoffbeutel, der weitere Bücher enthielt. »Lass uns was essen. Heute
ist hier nicht viel los, da finden wir sicher ein schönes Plätzchen.«
    Wir wandten uns zu den drei Piers, die
in die Bucht hineinragten, und kamen dabei an dem »Children’s Art Center«, der
»African American Historical and Cultural Society« und den »Friends of the
River« vorbei. Auf dem mittleren Pier waren der Herbst Pavilion und das Cowell
Theater untergebracht. Craig deutete nach rechts und links und sah mich fragend
an. Ich zeigte nach links, wo es um diese Tageszeit sonnig war.
    Wir kamen an rostroten Pollern vorbei,
manche noch mit den riesigen Ketten umwickelt, mit denen früher die
Transportschiffe der Marine vertäut wurden. Ein Trio alter Angler lehnte am
Geländer und nickte uns freundlich zu. Als wir außer Hörweite waren, sagte
Craig: »Ich glaube, ich möchte nichts von dem essen, was die hier fangen.«
    Ich warf einen Blick auf das
bräunlich-trübe Wasser und zuckte die Achseln. »Vermutlich fischen die seit
Jahrzehnten hier und leben immer noch.«
    Wir suchten uns ein sonniges Plätzchen
ganz am Ende des Piers und setzten uns im Schneidersitz auf den warmen Beton.
Ich genoss den Blick auf die Golden Gate Bridge und nach Alcatraz hinüber, sah
ein Segelboot vorübergleiten, das an eine chinesische Dschunke erinnerte. Craig
stürzte sich umgehend auf die Tüte mit dem Essen.
    »Sag nicht, du hast Hunger.«
    »Und wie. Ich koche nicht sonderlich
gut, und wenn Adah unterwegs ist, ernähre ich mich ziemlich mies.«
    Craig war schlank und trug das braune
Haar recht lang. Heute hatte er Shorts, Laufschuhe und ein Sweatshirt von der
FBI-Akademie an, das er wohl noch mal aus dem Lumpensack gefischt hatte. Er
erinnerte kaum noch an den zugeknöpften strammen Agenten, der vor einigen
Jahren nach San Francisco gekommen war, fest entschlossen, einen Wahnsinnigen
zu fassen, der gewillt schien, sämtliche Personen in den USA in die Luft zu
jagen, die diplomatische Immunität besaßen. Craig hatte sich durch diesen Fall,
den letztendlich ich gelöst hatte, völlig verändert. Er begann zu zweifeln,
stellte seine bisherige Meinung über das FBI in Frage und lernte dabei auch
Adah kennen, die vorübergehend
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