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Zorngebete

Zorngebete

Titel: Zorngebete
Autoren: Sabine Heymann
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was
haram
ist und was nicht. Ich bin nicht mehr imstande, einen Unterschied zu machen zwischen dem, was Sünde und dem, was schändlich ist. Und überhaupt, habe ich denn jemals gewusst, was das heißt, dieser
haram
? Was für den einen
haram
ist, ist es nicht unbedingt auch für den anderen. Wie soll man aus diesem Schlamassel herauskommen, Allah? Was kann ich dafür, dass mir die Arbeit als Nutte nie wie
haram
vorkam? Allerhöchstens wie
hchouma
. Und der Wunsch, dass meine bösartige Schwiegermutter stirbt, auch nicht. Ich will Ruhe, Allah. Ich will Schafe, Allah. Ich will Frieden, Allah. Bitte, gib mir eins von den dreien. Ich flehe Dich an, Allah. Ich bin müde.
    Wieder ist ein Jahr vergangen, und weder habe ich Frieden bekommen noch Ruhe noch Schafe, und dabei habe ich auf jedes noch so geringe Zeichen geachtet. Mit meinen Kursen habe ich immer noch nicht wieder angefangen, das heißt, ich mache heimlich weiter. Meine Schwiegermutter benutzt mich. Wenn diese Frau ins Paradies kommt, dann will ich in die Hölle gehen. Ich habe aufgegeben. Zum ersten Mal in meinem Leben. Ich spreche meine Gebete nach Vorschrift, Allah, aber inzwischen bete ich sie nur noch daher. Das macht mir am meisten Kummer. Ich sage nur die Gebete auf, ich spreche nicht mehr mit Dir. Sie hat mir die Energie und meine bescheidenen Hoffnungen genommen. Ich will nicht einmal mehr ihren Tod, nur dass sie schweigt, dass sie nicht mehr spricht, dass sie mich nicht mehr sieht.
    Heute Abend kommen Gäste, aber nicht ich habe für sie gekocht. Weil ich meine Regel habe. Und ich habe auch nicht das Essen aufgetragen. Weil ich unrein bin. Das sagen
sie
. Unrein. Aber ich sage ihnen, diesen Idioten, eine Frau ist niemals unrein, sie sind allesamt aus unserer Vagina herausgekommen und nur dank dieses Blutes hier, wo sie im Namen Gottes ihren Unsinn ablassen. Ich bin isoliert in einem Zimmer, weil ich meine Regel habe. Das ist der Gipfel. Nächstes Mal tue ich etwas davon in ihr Essen. Pssst.
    Mein Mann kommt ab und zu vorbei, um mich zu fragen, ob ich mich gut fühle, ob ich nicht zu müde bin, ob ich nicht den Drang habe, mich zu erbrechen. Wenigstens … Aber dennoch, eine Woche im Monat unrein, das ist ein bisschen viel. Dabei verlange ich doch gar nichts. Das Schlimmste ist, dass ich nicht das Recht habe zu beten, wenn ich unrein bin. Jedenfalls wird mich niemand daran hindern können, mit Dir zu sprechen, Allah, ganz gleich, in welchem Zustand ich bin. Sie schneiden sich ins eigene Fleisch.
    Du wirst es nicht glauben, Allah. Heute Morgen hatte meine Schwiegermutter einen Schlaganfall. Sie ist auf der linken Seite gelähmt. Sie kann weder sprechen noch sich bewegen, wie sie will. Ich werde Frieden haben und Ruhe. Zwei von dreien, das ist enorm. Und ich werde in den Verein zurückkehren können. Ich weiß jetzt, dass Du mich gern hast. Danke, Allah.
    Ich glaube an Dich. Noch stärker, wenn ich spüre, dass Du an mich glaubst. Du bist in meinem Leben der einzige gewesen.
    Seit meine Schwiegermutter außer Gefecht ist, sehe ich meinen Mann mit anderen Augen. Nicht weil er präsenter ist, sondern weil ich weniger blind bin. Und eigentlich glaube ich, dass er gar nicht übel ist, mein Mann. Er sagt ziemlich viel Unsinn, ist ein bisschen zu anhänglich, aber er hat nie die Hand gegen mich erhoben und spricht sehr freundlich mit mir, oft. Seit dem Unfall kommt er manchmal in der Küche vorbei und sagt:
    – Hmm, das riecht aber gut.
    Das ist sehr seltsam für seine Verhältnisse. Vorher ging er immer schnurstracks an der Küche vorbei, zum Gebet oder um den Koransender zu sehen. Jetzt fragt er mich sogar nach meiner Meinung über verschiedene Dinge, und wenn er nicht zu müde ist, erzählt er mir, wie sein Tag war. Er ist nicht böse, nur ein bisschen engstirnig, was die Religion betrifft. Zum Beispiel gibt er Frauen grundsätzlich nicht die Hand. Er sagt, man müsse die Taten und die Gesten des Propheten Mohamed nachahmen, Friede seiner Seele. Ich habe große Lust, ihm zu entgegnen, er solle lieber mit den Taten beginnen als mit den Gesten.
    Im Gefängnis wurde unter der Hand ein Buch herumgereicht, es hieß »Der Prophet und die Frauen«. Ich war natürlich gearscht. Ich konnte nicht lesen und meine Freundinnen auch nicht, aber das Mädchen, das in der Schule gewesen war, erzählte uns, wie großzügig und respektvoll der Prophet, Friede seiner Seele, mit den Frauen umgegangen war. Balsam für unsere Seelen, diese Geschichten.
    Die beste von allen war die
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