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Zorn - Wo kein Licht

Zorn - Wo kein Licht

Titel: Zorn - Wo kein Licht
Autoren: Stephan Ludwig
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Ich habe mit seinem Vorgesetzten telefoniert, Grünbein war seit über zwanzig Jahren bei der Sparkasse und ist nie auffällig geworden. Ein kleiner Angestellter in der Kreditabteilung, pünktlich, korrekt, sauber. Das passt irgendwie nicht zu seinem chaotischen Privatleben.«
    »Du meinst, er hat ein Doppelleben geführt?«
    Schröder überlegte kurz.
    »So weit würde ich nicht gehen. Die Wohnung war schmutzig, aber er ist nicht im Dreck erstickt. Wahrscheinlich leben viele Menschen so.«
    Zorn schüttelte den Kopf.
    »Ich versteh nicht, was du mir eigentlich sagen willst.«
    »Sein Schreibtisch, Chef. Das war der einzige Ort, der aufgeräumt war.«
    »Er war Bankangestellter. Die halten ihren Schreibtisch sauber.«
    »Der Tisch war völlig verstaubt. Ich wette, Grünbein hat vor Wochen, wenn nicht vor Monaten zuletzt dort gesessen, aber die Sachen darauf – Schreibunterlage, Stifte, Briefumschläge – waren fein säuberlich angeordnet. Man sieht an den Staubspuren, dass das erst kürzlich passiert ist.« Schröder runzelte die Stirn, während er nachdachte. »Ich kann’s nicht genau erklären, Chef. Dieser Schreibtisch wirkte wie ein Fremdkörper. Vielleicht irre ich mich, aber ich denke, dass der, der sich dort zu schaffen gemacht hat, die Dinge zurechtrücken musste. Vielleicht eine Art Zwang. Ein Tick, ein Ordnungsfimmel.«
    Zorn kannte Schröders Beobachtungsgabe. Seine Schlussfolgerungen gingen meist in die richtige Richtung. Er zog nun ebenfalls die Stirn in Falten.
    »Wenn du recht hast, müssen wir nach Fingerabdrücken suchen.«
    » Yes. Ist in Arbeit.«
    Der Drucker gab ein erschöpftes Krächzen von sich und spuckte das letzte Blatt aus.
    »Du meinst also«, sagte Zorn, »dass Grünbein verfolgt wurde?«
    »Möglich.«
    »Wer? Warum? Und was sollte er in der Wohnung gesucht haben?«
    »Keine Ahnung, Chef. Soweit wir bisher wissen, war Grünbein ein Einzelgänger, er hatte keine Freunde. Sein Vorgesetzter sagt, er sei in den letzten Tagen wie immer gewesen, keinerlei Anzeichen von Angst, aber das muss nichts bedeuten.«
    »Es sollte doch so etwas wie eine Kundenkartei in der Bank geben. Anfragen, Kredite, die Grünbein bearbeitet hat. Vielleicht findet sich da ein Hinweis. Jemand, der einen Grund hatte, Grünbein zu bedrohen.«
    »Das wird gerade geprüft.«
    Zorn trommelte mit den Fingern auf den Tisch.
    »Trotzdem, ich verstehe das nicht«, meinte er kopfschüttelnd.
    »Ich auch nicht, wenn ich ehrlich bin.« Schröder kramte ein großes Taschentuch hervor und schnäuzte sich umständlich. »Das Bett war benutzt. Grünbein hat sich abends hingelegt, früh um fünf ist er plötzlich aufgesprungen, zur Brücke gelaufen und hat sich umgebracht.«
    »Es muss einen Grund geben, Schröder.«
    »Jemand war hinter ihm her.«
    »Wenn es diesen Jemand denn gibt. Bisher haben wir nur einen staubigen Schreibtisch, das ist ein bisschen wenig, oder?«
    »Richtig.« Schröder faltete das Taschentuch zusammen und verstaute es sorgfältig in seiner Cordhose. »Vielleicht war dieser Unbekannte in der Wohnung, oder er hat Grünbein angerufen und bedroht. Grünbeins Handy haben wir allerdings nicht gefunden.«
    »Hatte er denn eins?«
    »Natürlich.«
    »Vielleicht unter der Brücke, im Fluss?«
    »Dort wird noch einmal gesucht.«
    »Wissen wir, wie er zur Brücke gekommen ist?«
    Plötzlich wurde Schröder puterrot im Gesicht. Seine Augen weiteten sich, er hielt die Luft an und während Zorn sich fragte, ob Schröder einen Herzanfall hatte, krachte ein Niesen durch das Büro, ein Donnern, als ob eine mittlere Atombombe gezündet würde. Zorn sah verständnisvoll zur Seite.
    »Wohlsein, Schröder.«
    » Gracias, Chef.«
    »Werd mir bloß nicht krank, Freundchen.«
    »Das habe ich nicht vor«, schniefte Schröder. »Nicht, bevor wir wissen, was hier passiert ist. Grünbein hatte kein Auto, und ein Taxi hat er auch nicht genommen. Jedenfalls erinnert sich niemand daran, im fraglichen Zeitraum einen älteren Herren im Pyjama zur Brücke kutschiert zu haben.«
    »Dann ist er also gelaufen, er kann sich ja schlecht einen Tunnel gegraben haben. Erzähl mir, was du willst, Schröder. Aber jemand muss ihn gesehen haben. Auch wenn es früh am Morgen war.« Zorn schüttelte den Kopf. »Was für eine Stadt. Keine Sau kümmert sich um den anderen.«
    »Das hat nichts mit dieser Stadt zu tun, Chef.«
    »Sondern?«
    »Es ist überall so. Die Menschen interessieren sich nicht sonderlich für andere.«
    Zorn stand auf und ging zum
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