Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zipfelklatscher

Zipfelklatscher

Titel: Zipfelklatscher
Autoren: Heidi Hohner
Vom Netzwerk:
so dampft, der See«, sagt er dann leise und holt ein kleines Fläschchen aus der Brusttasche seines Schlafanzugs.
    In eben dieser Brusttasche hatte immer klebriger Weingummi auf uns gewartet, wenn wir Mädels, die Sonnfischerzwillinge Franziska und Katharina, am Montagmorgen zu unseren Eltern ins Bett gekrochen waren, weil montags schon damals Ruhetag war, und mein Vater ausschlafen konnte. Meine Mutter liebte diesen pappigen Süßkram, körperwarme Geleebrocken, an denen Tabak- und Flanellfussel klebten.
    »Nopi? Heut hat’s an saubern Ostwind!«
    Mein Vater genehmigt sich erst mal selber einen, bevor er den blassgelben Magenbitter an mich weiterreicht. Im Nachhinein waren die Weingummis gar nicht so schlecht gewesen. Wenn man sie vorher unter fließendes Wasser gehalten hatte.
    Wahrscheinlich denkt mein Vater gerade das Gleiche, weil ihm die Augen leicht feucht werden und er nicht protestiert, als ich das kleine Bügelfläschchen einstecke, ohne daraus zu trinken. Das mit dem Ostwind ist nämlich nur ein Alibi. Nopi geht immer beim Bonifaz Lochbichler, auch wenn der Wind die Chiemseeoberfläche nur kräuselt wie eine leichte Gänsehaut.
    Die Idylle wird kurz gestört, als die Sirene noch einmal aufheult. Die Entwarnung! Ob die Feuerwehr dem armen Nils von Böckel gerade einen Eimer Wasser über das Gesicht geschüttet hat? Meine Gummilatzhose quietscht leicht, als ich meiner Zweitfrisur hinterhersteige und mich auf das Holzbrett setze, das als Fahrersitz vor dem Außenborder liegt.
    »Willst nicht lieber wieder ins Haus gehen? Du hast noch deine Pantoffel an!«
    »Meine Hausschuh? Hobigarnedgmerkt«, murmelt mein Vater. »Mit meinem Zehnagel komm ich eh in keine andern Schuh mehr.«
    »Aber du warst doch bei der Fußpflegerin letzten Monat?«
    »Die hat mir den Hax noch mehr verhunzt!«
    »Und die Ärztin, diese Brüderle, die dir der Schmied empfohlen hat? Bei der warst du doch auch!«
    »Die? Zu der geh ich ned nochamal, die ist mir z’jung!«
    Das kommt so resolut, dass ich mir ein unsicheres Hascherl vorstelle, frisch aus dem Hörsaal.
    »Und wenn du zu einem anderen Arzt gehst?«
    »Ich will ned zum Doktor und wegen meinem Zehnagel scho glei gar ned.«
    Er bückt sich mit knackenden Kniegelenken, um den Knoten der vorderen Bootsleine zu lösen, wirft mir das schmutzig weiße Seil ins Boot und schlurft zurück Richtung Haus, dreht sich aber noch einmal um und schreit gegen den Lärm des losknatternden Motors an.
    »Weißt, wie meine neue Plattn vom Grönemeyer heißt? Schiffsverkehr! Passt doch zu uns wie der Arsch auf an Eimer! Magst die nachher mal anhören?«
    »Aber ja, Papa. Natürlich!«
    Ich nicke so erfreut, als wäre Herbert Grönemeyer nicht nur für meinen Paps, sondern auch für mich der Allergrößte, und rufe ihm noch hinterher: »Und mach nicht wieder so eine Sauerei in der Küche!«
    Er hört mich aber nicht, sondern geht leicht hinkend zum Haus zurück. Ich seufze und drehe endlich am Gasgriff.
    Die Viertelstunde bis zu den zwei weißen Bojen, die draußen auf dem Weitsee den Liegeplatz meiner Renkennetze markieren, gebe ich richtig Gas, das Gesicht in den Wind gestreckt. Hinter meinem Boot zieht sich das große V der Kielwellen rauschend auseinander, der Bug hebt sich aus dem Wasser und schlägt alle paar Sekunden auf der Wasseroberfläche auf. Nach einer Weile habe ich trotzdem Mühe, die Augen offen zu halten. Diese Durchmacherei ist mir eindeutig zu anstrengend, Sex hin oder her.
    Aber dann lasse ich das Boot auslaufen und drehe mich um, schiebe die Hand zwischen meine Augen und die Morgensonne. Der Frühnebel ist verschwunden und die Wasseroberfläche glatt wie Öl, von sauberem Ostwind keine Spur. Die Fraueninsel ist jetzt so weit entfernt, dass ich sie hinter meiner Hand verschwinden lassen kann.
    Die Insel.
    Meine Insel.
    Absolute Stille, noch nicht einmal ein Plätschern.
    Der Chiemsee, 360 Grad um mich herum. Weit, aber nicht zu weit, das Ufer immer sichtbar. Am Wasser verteilt kleine Ortschaften als rot-weiße Würfelchen mit Kirchsturmspitzen drin, dahinter weiche Hügel, dunkel und neblig, weil die Sonne sie noch nicht erreicht hat. Und dann als letzte Dimension die Felsmassive der Chiemgauer Berge, von denen ich gar nicht weiß, wie sie alle heißen.
    Ich höre auf, die Backenzähne aufeinanderzubeißen und entspanne mich. Fischerhose, Fleecejacke und Spitzenwäsche bilden einen kleinen Berg in der Mitte des Bootes, als ich vom Bootsrand aus mit einem lauten Schrei nackt in den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher