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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10
Autoren: Ake Edwardson
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Bordell geschmiedet, die zwei alten Gangster. Hin und wieder begegnete Winter dem Sozi in der Stadt, er ging jetzt am Stock und dachte vermutlich immer noch mit seinem Schwanz. Er hatte so einiges auf dem Kerbholz, schien aber stets guter Laune zu sein.
    Das »Revy« war stehen geblieben, bis jetzt, bis zu Paula Neys Tod. Und schon als Ellen Börge vermisst wurde, hatte es hier gestanden. Zimmer Nummer 10. War hier noch mehr passiert? Er musste Möllerström darauf ansetzen. Suchwort: Zimmer Nummer 10. Herr im Himmel. Dies Wühlen in alten Archiven. Ohne Archive, elektronisch oder nicht, könnten sie gleich aufgeben. Alles, was jetzt geschah, hing mit der Vergangenheit zusammen, direkt oder indirekt. Hier war es nicht wie in den Tropen. Auf Winters Breitengrad waren die Schatten lang.
    In Zimmer Nummer 10 veränderten sich die Schatten. Das Bett sah nicht mehr aus wie in dem Moment, als Winter das Zimmer betreten hatte, Tisch und Sessel auch nicht, nicht das Muster an den Wänden und auf dem Fußboden. An der Wand neben dem Fenster hing die Reproduktion eines Kunstwerks. Es war der ungeeignetste Platz für ein Gemälde, dorthin fiel fast kein Licht. Es war das Porträt einer Frau mit dunklen Zügen. Ein Gauguin. Winter hatte sich das Original in Rom im Museum angesehen, eine Leihgabe. Gauguin, der hatte auch mit seinem Schwanz gedacht. Erst kürzlich hatte Winter eine Biographie über ihn gelesen. Gauguin hatte sich für die Tropen entschieden, dort gelebt, war dort gestorben. Syphilis. Winter zog das Notizbuch aus der Gesäßtasche und notierte: Die Bilder in allen Zimmern überprüfen. Er wusste nicht, warum. Er musste es auch nicht wissen. Er wusste, dass es mehr Fragen als Antworten gab, auf hundert Fragen kam eine Antwort. Das würde sich ändern, es würde mehr Antworten geben, aber Fragen konnten es weit über hundert, ja tausend sein, und selbst wenn die Zahl der Antworten die der Fragen überstieg, war es nicht sicher, dass sie der Lösung des Rätsels näher gekommen waren. Lösung. Auflösung. Bezeichnungen für etwas, das fast immer unklar blieb, unfertig. Er bewegte sich jetzt durch das Zimmer. Paula Ney hatte nicht ausgecheckt. Sie war ermordet worden. Hier gestorben. Weil jemand sie hasste. War es so? Natürlich. Wie konnte man so hassen? Sie hatte etwas von Liebe geschrieben, und danach war sie gestorben. Die Gewalt war von der Art gewesen, die auf ein persönliches Motiv schließen ließ. In diesem Zimmer war nichts davon zu sehen, keine Spuren an den Wänden oder auf dem Fußboden. Wen man liebt, den ermordet man. Oder: Die Gewalt hat sich in einem solchen Maß ins Unpersönliche gesteigert, dass sie … persönlich geworden ist. Haben sie einander gekannt, der Mörder und Paula? Nein. Ja. Nein. Ja. Winter sah, wie die Schatten wuchsen, länger wurden. Unten auf der Straße schien der Nachmittagsverkehr zuzunehmen. Plötzlich drang er an sein Ohr, als wäre die Absperrung durchbrochen worden. Er hörte einen Ruf, das Hupen eines Autos, weiter im Westen die Sirene eines Krankenwagens, und im Hintergrund das stumme Brummen der ganzen Stadt. Der Schrei eines Seevogels, als das Martinshorn erstarb. Und jetzt: Das Geräusch von Schritten, eine neue Geräuschkulisse. Die Schritte einer Frau. Paula musste all diese Geräusche, das Leben dort draußen gehört haben, die Normalität … Was hatte sie gedacht? Wusste sie, dass sie sich nie mehr unter all diesen wunderbaren Geräuschen bewegen würde? Ja. Nein. Ja.
    »Nein«, sagte der Mann hinter dem Tresen. »Ich kann mich an keinen Begleiter erinnern. Ich kann mich überhaupt nicht an sie erinnern.«
    Sein Aussehen, das mehrere Jahrzehnte geformt hatten, war unbestimmt. Vielleicht war es derselbe Mann, den Winter als junger Mann wegen Ellen Börge befragt hatte. Nein. Das war nicht er. Es wäre Winter aufgefallen. Aber er sah so aus als wäre er schon damals hier gewesen, als sei er immer hier gewesen. Bei manchen Menschen war es so, sie schienen mit ihrer Umgebung verwachsen zu sein.
    Winter stellte eine unmögliche Frage. Ganz bewusst. Vielleicht war sie gar nicht unmöglich, vielleicht war es die beste Frage, die er in diesem Augenblick stellen konnte. »Können Sie sich an eine junge Frau erinnern, die Neunzehnhundertsiebenundachtzig hier übernachtet hat? Sie hieß Ellen Börge.«
    »Wie bitte?«
    »Sie ist am Tag darauf verschwunden.«
    Der Mann starrte Winter an wie jemanden, der schon um die Mittagszeit betrunken war.
    »Wir waren damals ihretwegen
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