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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10
Autoren: Ake Edwardson
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dem Stuhl, den Balken, dem Fußboden um die Frau herum, mit den wenigen anderen Möbeln im Zimmer, mit allem, was einen Anhaltspunkt bieten konnte. Wenn es einen gab. Nein, kein Wenn. Ein Täter hinterlässt immer etwas. Hinterlässt – immer – etwas. Wenn wir daran nicht glauben, können wir gleich einpacken, raus in die Sonne gehen.
    In unregelmäßigen Abständen leuchtete das Zimmer im Blitzlicht des Fotografen auf, als wollte die Sonne draußen auch hier drinnen dabei sein.
    Wenn es einen Täter gab. Winter starrte hinauf zu den Balken, dann wieder auf die Frau hinunter. Er musterte den umgekippten Stuhl. Einer von der Spurensicherung beschäftigte sich gerade eingehend mit der Sitzfläche. Er schaute zu Winter auf und schüttelte den Kopf.
    Winter musterte die rechte Hand der Frau, die weiß angemalt war, blendend weiß, schneeweiß. Die Farbe war trocken, sie reichte halbwegs bis zum Ellenbogen. Es sah aus wie ein grotesker Handschuh. Weiße Malerfarbe. Auf dem Fußboden stand eine Farbdose, darunter war eine Zeitung ausgebreitet, als sei nichts wichtiger in diesem Zimmer, als den Fußboden zu schützen. Wichtiger als das Leben.
    Von einem Pinsel auf der Zeitung war Farbe über ein Foto gelaufen, das eine Stadt in einem fremden Land zeigte. Winter erkannte die Silhouette einer Moschee. Als er sich hinkniete und über den Körper beugte, roch er die Farbe.
    Auf dem einzigen Tisch im Zimmer lag ein Blatt Papier.
    Der Brief war mit der Hand geschrieben und umfasste knapp zehn Zeilen. Im Hotelzimmer gab es Briefpapier, einen Stift. Zimmer Nummer 10. Die Ziffern aus vergoldetem Messing waren an die Tür genagelt. Im dritten von vier Stockwerken. Nachdem das Fenster geschlossen worden war, blieb ein süßlicher Geruch zurück, der viele Bedeutungen haben konnte.
    Winter nahm die Kopie des Briefes von seinem Schreibtisch und studierte noch einmal die Schrift. Er konnte nicht erkennen, ob die Hand gezittert hatte, als die Frau ihre letzten Worte schrieb, immerhin konnte er sie mit anderen Wörtern vergleichen, einem anderen Schriftstück von ihr. Sie hatten alles ans Kriminaltechnische Labor in Linköping geschickt, den Brief und einen anderen Text, den die Frau nachweislich geschrieben hatte.
    »Ich liebe euch und ich werde euch immer lieben ganz gleich was auch mit mir geschieht und ihr werdet immer bei mir sein wohin ich auch gehe und wenn ich euch verärgert habe dann möchte ich euch um Verzeihung bitten ich weiß ihr werdet mir vergeben gleich was mit mir geschieht und was mit euch geschieht und ich weiß wir werden uns wiedersehen.«
    Dort hatte sie den ersten Punkt gesetzt. Sie hatte noch ein paar Zeilen hinzugefügt, und dann war es passiert. Was auch mit mir geschieht. Die Formulierung wiederholte sich zweimal in dem Brief an die Eltern, geschrieben mit einer, wie es Winter vorkam, ruhigen Hand, auch wenn die Spurensicherung unter dem Mikroskop ein kaum sichtbares Zittern entdeckt zu haben meinte.
    Ein Zittern der Hand, mit der sie den Brief geschrieben hatte, den er jetzt in der Hand hielt. Er starrte darauf nieder. Er konnte kein Zittern entdecken, aber er wusste, dass es so gewesen sein könnte. Schließlich war er auch nur ein Mensch. Ihre weiße Hand. Eine perfekte Malerarbeit. Eine Hand wie aus Gips. Etwas, das nicht mehr zu ihr gehörte. Das man ebenso gut entfernen könnte, hatte er gedacht. Er fragte sich, warum. Hätte jemand anders das Gleiche gedacht?
    Ihr Name war Paula Ney, sie war neunundzwanzig Jahre alt, und in zwei Tagen wäre sie dreißig geworden, am ersten September. Dem ersten Herbsttag. Sie hatte eine eigene Wohnung, aber in den letzten zwei Wochen hatte sie nicht dort gewohnt, weil die Wohnung von Grund auf renoviert wurde. Die Renovierung würde lange dauern, und Paula Ney war nach Hause zu ihren Eltern gezogen.
    Gestern war sie am frühen Abend mit einer Freundin ins Kino gegangen, und nach der Vorstellung hatten sie ein Glas Wein in einer Bar in der Nähe des Kinos getrunken und sich dann am Grönsakstorget getrennt. Dort wollte Paula die Straßenbahn nehmen, hatte sie gesagt, und dort endeten ihre Spuren, bis man sie am Vormittag in einem Zimmer im Hotel »Revy« fand, eineinhalb Kilometer östlich vom Grönsakstorget. Am »Revy« fuhr keine Straßenbahn vorbei. Ein seltsamer Name.
    Das Hotel war auch seltsam, wie aus einer schlechteren Zeit übrig geblieben. Oder einer besseren Zeit, wie manche meinen. Es lag in einem der engen Viertel südlich des Hauptbahnhofs, in einem der
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