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Zimmer Nr. 10

Titel: Zimmer Nr. 10
Autoren: Ake Edwardson
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Zimmer? Warum dieses Hotel? Zimmer Nummer 10. Plötzlich musste er an Ellen Börge denken. Sie hatte eine Nacht hier gewohnt. In welchem Zimmer? Es musste in den Akten stehen. Winter sah die Akte vor sich, unten im Archiv, ein Archivexemplar, das nicht digitalisiert worden war, denn der Inhalt bezog sich auf einen Fall von vor 1995. Erst danach war das moderne Zeitalter angebrochen. Die Unterlagen über Ellen Börge trugen den Stempel »Kein Fahndungsergebnis. Fall wird niedergelegt«. Seit Winter die Papiere zuletzt in der Hand gehalten hatte, waren viele Jahre vergangen. Hatte in der Akte etwas über eine Voruntersuchung gestanden? Technisch gesehen konnte es keine Voruntersuchung gegeben haben. Winter erinnerte sich nicht mehr an alle Einzelheiten in der Akte. Plötzlich wollte er es wissen, so schnell wie möglich. Er holte das Handy aus der Brusttasche seines Leinenhemdes.
    Janne Möllerström, der Kriminalinspektor der Registratur, meldete sich.
    »Die Unterlagen über den Fall der vermissten Ellen Börge«, sagte Winter, »ich hab dir gestern davon erzählt.«
    Ellen war lange, bevor Möllerström im Dezernat angefangen hatte, vermisst worden. Winter hatte ihm den Fall kurz geschildert.
    »Mein Kurzzeitgedächtnis funktioniert noch ganz gut«, sagte Möllerström jetzt.
    »Vierundzwanzig Stunden? Nennst du das eine kurze Zeit?«
    »Haha.«
    »Hast du die Unterlagen gefunden?«
    »Ja, der Fall einer Vermissten, dokumentiert für die Nachwelt.«
    »Ein Detail«, sagte Winter und starrte auf die nackte Wand oberhalb des Bettes. Keine Bilder. Aus der Nähe betrachtet, verschwamm das Tapetenmuster vor seinen Augen. »Kannst du herausfinden, in welchem Zimmer Ellen Börge im Hotel ›Revy‹ übernachtet hat?« Winter versuchte trotzdem das Tapetenmuster zu erkennen. »Ich stehe gerade im Ney-Zimmer.«
    Winter schaute zum Fenster. Das Licht dort draußen war immer noch stark. Er hatte ein vages Gefühl von Déjà-vu, ein Gefühl des Unbehagens, wie eine beginnende Übelkeit. Es hing mit der Hausfassade auf der anderen Straßenseite zusammen. Den Kupferdächern. »Müsste irgendwo ganz am Anfang stehen«, sagte er.
    »Wenn es überhaupt irgendwo steht.«
    »Mensch, ich war doch selbst dabei.«
    »Na dann.«
    »Ruf mich sofort an, wenn du was gefunden hast.«
    Winter drückte auf Aus und blieb mit dem Handy in der Hand stehen. Auf der anderen Straßenseite glitt das Sonnenlicht über die grünen Kupferdächer. Bis dorthin waren es nicht mehr als dreißig Meter. Plötzlich blitzte etwas auf wie ein kräftiger Scheinwerfer, als sich die Windfahne auf dem linken Dachfirst infolge eines Windstoßes drehte und ein Sonnenstrahl darauf fiel.
    Winter wusste, dass es ein Hahn war, einer mit einem roten Kamm. Er hatte früher schon einmal hier gestanden, in einer anderen Zeit, einem anderen Leben. Einem jüngeren, unsichereren, offeneren Leben. Unfertig, noch unfertiger als jetzt.
    Wieder meldete sich das Unbehagen in der Magengrube, als wollte es ihn an etwas erinnern.
    In der Sekunde, als das Handy klingelte, spürte er das Vibrieren.
    »Zimmer Nummer zehn«, sagte Möllerström. »Stand schon auf Seite zwei.«
    »Ja.«
    »Du scheinst nicht überrascht zu sein.«
    »Ich hab gerade eben etwas wieder erkannt.« Winter sah zu, wie der Hahn herumschwang, eine Vierteldrehung machte und der Scheinwerfer erlosch. »Aber vielen Dank für die schnelle Information, Janne.« Winter drückte auf Aus und blieb mitten im Zimmer stehen.
    Ein Zufall?
    Natürlich.
    Wie viele Zimmer hatte dieses stinkende Rattenloch?
    Mehr als jemand wusste.
    War Nummer 10 für allein anreisende Frauen ohne Begleitung? Der Eskortservice war sonst eine Spezialität des »Revy«. In seiner Karriere war er öfter hier gewesen. Prostitution, Rauschgift, Körperverletzung. Das »Revy« war wie ein alter angezählter Boxer, der sich bei neun immer wieder aufrappelte. Die Bude war stehen geblieben, als das gesamte Nordstan und die umliegenden Viertel von der Abrissbirne zermalmt wurden. Hatte man das Hotel aus nostalgischen Erwägungen verschont? Waren die Stadtplaner alte Kunden gewesen? In zwei Fällen verhielt es sich tatsächlich so, ein Stadtarchitekt und ein ehemaliges Gemeinderatsmitglied. Sozialdemokrat. Sie haben anderes abreißen lassen, abwechselnd Schönes und Hässliches, aber das »Revy« durfte stehen bleiben. Der Stadtarchitekt genehmigte Neubauten auf den Grundstücken, wo der Gemeinderat hatte sprengen lassen. Vielleicht hatten sie ihre Pläne im
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