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Zikadenkönigin

Zikadenkönigin

Titel: Zikadenkönigin
Autoren: Bruce Sterling
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kurze Zeit. »Haben Sie von diesem Teil genug gesehen?«
    »Ja.« Sie verließen die Kammer der Königin.
    »Am Anfang habe ich Sie wirklich nicht gemocht«, sagte sie. »Ich glaube, daß Sie mir jetzt sympathischer sind. Sie haben einen Sinn für Humor, der den meisten Sicherheitsleuten fehlt.«
    »Es ist kein Sinn für Humor«, sagte Afriel ernst. »Es ist Zynismus, der sich als Humor verkleidet.«
    In dem unendlichen Strom der folgenden Stunden gab es keine Tageseinteilung. Zuerst verbrachten sie die zufälligen Schlafzeiten getrennt, danach umschlungen in der Schwerelosigkeit. Das körperliche Gefühl der Haut und des Körpers des anderen wurde für sie zu einem gemeinsamen Anker in ihrem menschlichen Dasein. Die so viele Lichtjahre entfernte, zerstrittene Menschheit hatte für sie jede Bedeutung verloren. Ihr jetziges Leben spielte sich in den warmen und von Schwärmen wimmelnden Tunneln ab. Die beiden glichen Bazillen in einem Blutkreislauf, die unaufhörlich von Ebbe und Flut getrieben wurden. Sie probierten in den langen Monaten ihres Aufenthalts jedes Pheromon einzeln aus. Allmählich hatte die Zeit jede Bedeutung verloren.
    Die Versuche mit den Pheromonen waren sehr kompliziert, aber nicht unmöglich. Das erste der zehn Pheromone war ein einfaches Stimulanz zur Gruppenbildung, das von Fühler zu Fühler weitergegeben wurde und die Arbeiter dazu brachte, sich in großer Zahl zusammenzurotten. Danach erwarteten die Arbeiter weitere Befehle. Als keine erfolgten, lösten sie sich wieder auf. Um wirklich effektiv arbeiten zu können, mußten die Pheromone nacheinander in bestimmter Reihenfolge verabreicht werden wie ein Computerprogramm. Nummer eins, Gruppenbildung, gefolgt zum Beispiel von Nummer drei, Verlegung, bewirkte, daß die Arbeiter jede beliebige Kammer ausräumten und den Inhalt in eine andere schleppten. Das neunte Pheromon zeigte die besten Wirkungen für die Industrie. Es gab einen Baubefehl, auf den hin die Arbeiter sofort Tunneler und Baggerer zusammentrieben und an die Arbeit jagten. Andere Reaktionen waren lästig; das zehnte Pheromon führte zu übertriebener Reinlichkeit, wobei die Arbeiter mit ihren haarigen Fühlern Afriel die letzten Reste seiner Kleidung wegstriegelten. Das achte Pheromon schickte die Arbeiter an die Oberfläche des Asteroiden, um dort Material zu sammeln. Die beiden Forscher waren ihnen dabei wißbegierig gefolgt; sie waren so in ihre Beobachtungen vertieft, daß sie beinahe den Halt verloren und ins All hinausgetragen wurden.
    Die beiden hatten auch vor der Kriegerkaste keine Angst mehr. Sie wußten, daß eine Dosis des sechsten Pheromons die Krieger sofort veranlaßte, die Eier zu bewachen, und daß die Arbeiter ebenfalls dorthin eilen würden. Mirny und Afriel nützten das aus und richteten sich eigene Kammern ein, die sie von Arbeitern – durch Chemie gefügig gemacht – hatten graben lassen; sogar eine Wache für die Luftschleuse hatten sie sich auf diese Weise besorgt. Sie verfügten über ihren eigenen Schwammgarten mit der Sorte, die ihnen am besten schmeckte und die von einem ebenfalls unter Drogen stehenden Arbeiter für sie vorverdaut wurde. Das ständige Fressen hatte den Arbeiter bis zum Platzen aufgetrieben, so daß er wie eine gigantische Traube von der Decke hing.
    Afriel war müde. In letzter Zeit hatte er kaum geschlafen; er konnte sich an das letzte Mal kaum erinnern. Sein Körperrhythmus war noch nicht so angepaßt wie der Mirnys; deshalb neigte er oft zu Depressionen und Gereiztheit, die er nur mit Mühe unterdrücken konnte. »Die Investierer müßten doch endlich kommen«, sagte er, »hoffentlich bald!«
    Mirny zuckte die Achseln. »Die Investierer«, meinte sie und beendete den Satz in der Sprache der Sprungschwänze, die er immer noch nicht beherrschte. Trotz seines linguistischen Trainings war es Afriel nicht gelungen, sich den knirschenden Jargon der Sprungschwänze anzueignen. Da ihre Sprache sich zu einem primitiven Kauderwelsch ohne Regeln oder Struktur zurückgebildet hatte, war ihm seine sprachwissenschaftliche Ausbildung eher hinderlich. Er war zwar in der Lage, ihnen ein paar einfache Befehle zu erteilen, denen er durch seine Kontrolle über die Krieger Nachdruck verleihen konnte. Die Sprungschwänze hatten vor ihm Angst; die beiden jungen, die Mirny gezähmt hatte, waren inzwischen so faul und fett geworden, daß sie ihre Alten dauernd tyrannisierten. Afriel war viel zu beschäftigt gewesen, um die Sprungschwänze oder die anderen
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