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Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
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Aktionsplan«, bei dem »Ressourcen von Bund, Ländern, Kommunen und EU -Fördermitteln« gebündelt werden sollten. Bemerkenswert ist: Während die Funktionäre die obligaten Programme »zum selbstbewussten Erwerb von Bildung und zur gleichzeitigen Überwindung des gesellschaftlichen Antiziganismus« einklagen, kreiden engagierte Sinti wie Rene Daniel der Studie an, selbst »den größten Beitrag zur Förderung von Klischees, Vorurteilen und Antiziganismus« geleistet zu haben.
    Der Vorwurf greift zu kurz.
    Das Unsägliche an der Studie ist nicht das Verbreiten des Stereotyps von den bildungsdiskriminierten Sinti und Roma, und auch nicht das Ansinnen, Bildungsarmut in Finanzbeihilfen zu verwandeln. Das eigentliche Drama ist folgenschwerer. Tragisch gar. Gegen ihre Absicht gerät die Studie zu einem Dokument einer schleichenden Entmündigung. Das Insistieren auf der Perspektive des Opfers bekundet den Ausverkauf ziganen Selbstbewusstseins. Wo aus dem Spektrum der Erfahrungen nur die negativen herausgefiltert werden, wo Menschen die Welt allein durch die Brille ihrer Beschädigungen anschauen und mit ebendiesem Blick selber angeschaut werden wollen, verflüchtigt sich das Bewusstsein ihrer Möglichkeiten. Anstatt ihre Fähigkeiten in die Waagschale zu werfen und ihre kreativen Talente in gesellschaftliche Prozesse einzubringen, verkümmern sie zu Unbemittelten, die des ständigen »Empowerments« bedürfen. Sie begreifen sich nicht über ihren Reichtum, sondern definieren sich über ihre Armut und ihre Defizite. Nichts ist übrig von der Selbstachtung eines Ronald Lee, der uns in Verdammter Zigeuner vor über vierzig Jahren sagte, in einer Zivilisation, »in der Tod und Angst und Hass uns immer mehr beengen, hat die Welt von den Zigeunern vielleicht noch einiges zu lernen, um zu überleben: Einfallsreichtum, Selbstgenügsamkeit, Mut und trotzige Freude«. Die Sinti und Roma der Funktionäre haben nichts mehr, was sie andere lehren könnten. Uns, die Gadsche.
    Ein Grund zum Verzweifeln ist das nicht. Denn es gibt sie noch, jene Freigeister, die statt fremden Stimmen lieber der eigenen vertrauen. »Lasst euch nicht einreden, wir wären bildungsfern und unkultiviert, und wir bräuchten Erziehung!«, proklamieren sie auf zigeunerinfo.de, ein Diskussionsforum, auf dem jenseits der monopolisierten Meinung spannende Debatten stattfinden. Etwa über die nicht unerhebliche Frage, welche Art von Bildung überhaupt gemeint ist, wenn von Bildungsdefiziten der Zigeuner gesprochen wird. Leider verschwinden anregende Menschen in solchen Gesprächsplattformen häufig in der Anonymität ihrer Phantasienamen. Erwähnt werden sollen zumindest »Kati«, »Mirikli«, »Rinerle« oder »Walodja«. Sie lehnen ein Verständnis von Bildung ab, das auf »angepauktes und eingetrichtertes Wissen« setzt, um »eiskalte Karrieristen« gesellschaftstauglich zu machen. Dagegen halten sie den unmodischen, aber schönen Begriff der »Herzensbildung« lebendig und stellen die schlichte Überlegung an, was die Sinti und Roma von den Gadsche, und was die Nichtzigeuner von den Zigeunern lernen können. Jede Antwort setzt eine gleichberechtigte Begegnung auf Augenhöhe voraus. Dazu ist schwerlich fähig, wer sich im Zustand der Dauerdiskriminierung wähnt.
    Zitieren will ich Kati. Ob sie eine Sintezza ist, eine Romni, eine Zigeunerin oder nichts dergleichen, ich weiß es nicht. Und es ist auch egal.
    »Wenn wir uns nicht mehr daran erinnern werden, was es heißt, stolz und nicht fremdbestimmt zu sein, wenn wir es gelernt haben, unser Wissen gegeneinander einzusetzen und unser Gegenüber als Konkurrenten zu sehen, oder meinen, uns ständig miteinander messen zu müssen, dann werden wir den Bildungsauftrag erfüllt haben …. Wissen ist eine wunderbare Sache, den menschlichen Geist zu fordern, Zusammenhänge zu erkennen, Technik zu nutzen – alles wunderbar! Aber nur dann werden sich diese Gaben nicht gegen uns richten, wenn wir dabei in demselben Maße das pflegen, was wir Herzensbildung und Kultur der Seele nennen – das, was Sinte seit Generationen allen Entwicklungen, Verleumdungen und Anfeindungen zum Trotz in sich bewahrt haben.«
    Das trotzige Bewahren der eigenen Identität zwischen Herz und Vernunft, zwischen Ausgrenzung und Selbstbehauptung, schien mir nicht nur an Orten bedroht, wo die Zigeuner und die Mehrheitsbevölkerung unversöhnt nebeneinander lebten. Auch dort, wo sich die Minderheit assimiliert hatte. Soziale Integration, so
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