Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zigeuner

Zigeuner

Titel: Zigeuner
Autoren: Bauerdick Rolf
Vom Netzwerk:
den Förderern der Studie zählt die Gesellschaft für Antiziganismusforschung e. V. in Marburg, als deren zweiter Vorsitzender Daniel Strauß firmiert. Der erste Vorsitzende, Professor Wilhelm Solms, zugleich Mitglied im Kuratorium des Heidelberger Dokumentationszentrums, schrieb das Geleitwort. Ausgewertet wurden die erhobenen Daten von dem Bildungssoziologen Michael Klein, einem weiteren Vorstandsmitglied des Marburger Vereins.
    Das Ergebnis entspricht ziemlich genau jener Feststellung, die bereits Jahre vor dem Erscheinen des Berichts veröffentlicht wurde. In dem des Öfteren bemühten Handbuch Sinti und Roma von A –Z ist zu lesen: »Die Schulverbote in der NS -Zeit, die Ermordung einer ganzen Generation von Kulturvermittlern und lehrenden Eltern, die Nichtbeschulung eines ganzen Teils der Nachkriegsgeneration sowie traumatische Schulängste infolge der NS -Deportationen von Kindern verursachten erhebliche Bildungsdefizite bis hin zum Analphabetismus«. Einer der Verfasser des Handbuchs, das aus Mitteln des baden-württembergischen Innenministeriums gefördert wurde, war Daniel Strauß.
    Um ein Missverständnis zu vermeiden: Der grausame Völkermord an den Zigeunern, der Porajmos, »das Verschlingen«, wie es auf Romani heißt, hat schreckliches Leid angerichtet. Verstörend eindringlich wurde das Grauen in Worte gefasst in der Biografie »Denk nicht, wir bleiben hier!«, in der Anja Tuckermann die Erlebnisse des Sinto Hugo Höllenreiner aufgeschrieben hat. Die Lebensgeschichte Höllenreiners, der 1945 als Elfjähriger aus Auschwitz-Birkenau befreit wurde, steht exemplarisch für die Barbarei der Nationalsozialisten und gleichermaßen für das unfassbar Böse, was Menschen anderen Menschen antun können. Es ist ein Gebot der Humanität, an das Leid der Sinti und Roma und all der anderen Zigeunerstämme zu erinnern. Doch liefert dieser Schmerz sieben Jahrzehnte später noch immer eine Erklärung dafür, wenn 44 Prozent der Probanden einer Befragung keinen Schulabschluss besitzen? Nebenbei gesagt: In Ländern, in denen die Roma während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft nicht verfolgt wurden, wie etwa in Bulgarien, ist ihre Bildungssituation unvergleichlich desolater als in Deutschland.
    Keine Gadsche, standesbewusste Zigeuner wiesen auf eine haarsträubende Ungereimtheit hin. Wenn sich kollektive Traumata über Generationen hinweg nachhaltig negativ auf das Bildungsniveau auswirken, dann müsste das Volk der Juden, wenn man das ungeschützt sagen kann, ein unzivilisiertes Volk von Analphabeten sein. »Die jüdische Glaubensgemeinschaft hat die gleichen historischen Erfahrungen machen müssen. Es stellt sich hier für uns die Frage, weshalb diese nicht die Probleme haben, wie in der Studie beschrieben«, meinte die Vorsitzende der Sinti Allianz Natascha Winter.
    Kritischen Sinti ist nicht entgangen, dass der Report einer Begriffsmühle gleicht, die in Endloszirkeln immergleiche, um sich selbst rotierende Behauptungen produziert und das Opfer-Täter-Schema ad ultimo zementiert. Die deutschen Sinti und Roma, so ist zu lesen, zählen in der Bevölkerung zu einem »harten Kern, der in der Bildung systematisch ausgegrenzt und sozial abgehängt wird«. Folglich fordert Strauß: »Ein gleichberechtigter Zugang zum Bildungswesen muss gewährleistet sein.« Deutschland – ein Apartheidsstaat? Dem Eindruck widerspricht die Sinti Allianz vehement. Selbstverständlich würden bestehende Bildungsangebote den Sinti »als deutsche Bürger uneingeschränkt zur Verfügung stehen«, zudem würden »einige Zentralratsverbände schon seit langem finanzielle Mittel vom Staat für Hausaufgabenhilfen« erhalten. Trotzdem würden »Ämter, Lehrer und Mitbürger beschuldigt, Sinti rassistisch zu behandeln und für deren Bildungsmangel und ihre Arbeitslosigkeit verantwortlich zu sein«.
    Dass Sinti und Roma wie andere Bevölkerungsgruppen auch für ihren und den schulischen Werdegang ihrer Kinder eventuell ein Stück weit selbst Sorge tragen sollten, spielt in dem Report keine Rolle. Auch zeugt das unverhohlene Buhlen um Fördergelder und Projektmaßnahmen nicht von übermäßigem Vertrauen in die Selbstverantwortlichkeit der eigenen Ethnie. Stattdessen wird für einen »Bildungsaufbruch« votiert, für den wiederum »Überzeugungsarbeit« zu leisten ist, die wiederum der Förderung bedarf. Wie zu erwarten empfehlen die Rapporteure schlussendlich, »unverzüglich eine Bildungskommission zu gründen«. Für einen »nationalen
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher