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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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    Vorwort zur neuen Ausgabe
     
     
    Im Januar 2010 nahmen Olivier Nakache und Éric Toledano, die Regisseure des Films Ziemlich beste Freunde 1 , Kontakt mit mir auf . Sie hatten einige Jahre zuvor einen einstündigen Dokumentarfilm gesehen, den Jean-Pierre Devillers im Auftrag von Mireille Dumas gedreht hat. À la vie, à la mort 2 erzählt von der überraschenden Begegnung eines reichen privilegierten Querschnittsgelähmten – also von mir – mit Abdel, dem jungen Araber aus der Pariser Vorstadt. Wider Erwarten unterstützen sich diese beiden jahrelang gegenseitig. Die Geschichte interessierte die beiden Filmemacher.
    Zusammen mit den Schauspielern Omar Sy und François Cluzet besuchten sie meine Frau Khadija und mich in unserem Haus in Essaouira.
    Seitdem haben wir uns noch oft gesehen und ich habe mit Vergnügen die Entwicklung des Drehbuchs verfolgt.
     
    Mein erstes Buch, Le second souffle 3 , hatte damals eine gewisse Anerkennung erfahren. Frédéric Boyer, der Programmleiter der Éditions Bayard, schlug mir vor, es zum Erscheinen des Films neu aufzulegen, ergänzt um ein neues Vorwort und einen bisher unveröffentlichten Text.
     
    Der Schutzteufel setzt die Geschichte von Der zweite Atem (die 1998 endet) bis zu meiner Begegnung mit Khadija in Marokko im Jahr 2004 fort; das entspricht der Zeitspanne des Drehbuchs von Ziemlich beste Freunde . Für den Spielfilm wurde die Geschichte allerdings vereinfacht, verändert, verkürzt und es wurden zahlreiche, der Phantasie der Regisseure entsprungene Situationen hinzugefügt.
     
    » Intouchables «, unberührbar, sind wir beide aus verschiedenen Gründen. Abdel ist maghrebinischer Herkunft und fühlt sich in Frankreich marginalisiert – ähnlich der Kaste der Unberührbaren in Indien. Wer ihn »berührt«, läuft Gefahr, Prügel einzustecken, und er kann so schnell rennen, dass die Bullen, wie er sie nennt, ihn in seiner langen Karriere als Kleinkrimineller nur ein einziges Mal erwischt haben.
    Ich für meinen Teil bin hinter den hohen Mauern, die mein Pariser Stadthaus umgeben – in meinem goldenen Gefängnis, wie Abdel es nennt, in dem es mir dank meines Vermögens an nichts Käuflichem mangelt –, ein »Außerirdischer«; nichts kann an mich herankommen. Meine vollständige Lähmung und das Fehlen jeglichen Gefühls in den Gliedern hindern mich daran, irgendetwas zu berühren. Andere Menschen trauen sich nicht, mich zu berühren, weil mein Zustand sie einschüchtert; und meine Schulter kann man nicht berühren, ohne mir schreckliche Schmerzen zuzufügen.
    »Unberührbar« sind wir also beide.
     
    Nun sehe ich mich einer ungeheuren Herausforderung gegenüber: Ich soll über meine Vergangenheit schreiben.
     
    Ein Hindernis taucht unerwartet auf: Ich erinnere mich nicht an sie! Zuerst schiebe ich das darauf, dass Abdel, meine Lebenshilfe, nicht da ist. Doch bei näherer Betrachtung ist es schlimmer. Mit Ausnahme einiger zeitlich nicht genau einzuordnender Episoden verweigert sich mein Gedächtnis dieser Aufgabe. Die Erinnerung ist der Luxus der Wohlhabenden und Gesunden. Für jemanden, der, in welcher Form auch immer, Not leidet, bleibt die Erinnerung in der Gegenwart stehen, bei der Schwierigkeit, zu überleben. Prousts Madeleine kann nur die fixe Idee eines Dandys der guten Gesellschaft sein.
    Schon 1998 bis 2001 , als ich, in tiefer Trauer um Béatrice, die kurz zuvor gestorben war, und gequält von Nervenschmerzen 4 , Le second souffle schrieb, hatte ich Mühe, die einzelnen Momente meiner Vergangenheit zusammenzufügen. Leid tötet das Gedächtnis. Die Gesunden sammeln im Lauf ihres Lebens Geschichten an und all die Dinge, die sie im Rückblick bedauern. Ich bin frei von jeglicher Erinnerung.
     
    Eine Autobiographie ist immer, absichtlich oder nicht, voll von Auslassungen und Lügen. Wenn man das Leben eines anderen erzählt – in meinem Fall das von Abdel –, kann man höchstens »einen Eindruck vom anderen« vermitteln, eine Strichzeichnung mit zahlreichen Leerstellen.
    Wie soll der wohlerzogene, gewisse Prinzipien respektierende Aristokrat, der ich sein soll, für Abdel das Wort ergreifen, der damals aufsässig war und jeder Norm feindselig gegenüberstand? Ich kann nur die Ereignisse wiedergeben und versuchen, sie zu analysieren. Ein Teil der Wahrheit entzieht sich meiner Kenntnis; Omar Sy – der Abdel auf der Leinwand darstellt – kann sich ihm sehr viel leichter nähern.
     
    Ich wollte ein Buch schreiben, das nicht nur reine Unterhaltung
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