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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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errötet verlegen. Selbst die Erinnerung an ihn macht mich benommen. Der Geist ist weg, es überkommen mich nur ferne Empfindungen. Ich als Sieben- oder Achtjähriger unter der brennenden Sonne von Casablanca. Meine Brüder und ich besuchen die christliche Schule Charles-de-Foucauld. In den Pausen spielen einige Kinder auf dem Schulhof Ball und wirbeln Staub auf, der ihnen an Armen und Beinen kleben bleibt und ihre Shorts und die marineblauen Hemden grau färbt. Andere Kinder stehen an der Mauer aufgereiht, eingeteilt in die Gruppe der Händler und die der Spieler. Ich bin Händler; Alain, mein Zwillingsbruder, der sehr gut zielt, ist Spieler. Der Spieler muss mit einem Aprikosenkern einen anderen, zwischen den Beinen des Händlers liegenden Kern treffen. Ich stelle mich an der Mauer auf, das Gesicht in die Morgensonne gereckt. Ich liebe es, mich von der Sonne braten zu lassen. Ich warte auf den Schuss, die halb zusammengekniffenen Augen auf meinen Kern gerichtet. Ich zähle bis drei. Wohlige Schauer. Benommen vom lauwarmen Staub im Hof, schließe ich die Augen. Als ich wieder zu mir komme, ist meine Klasse verschwunden. Andere Schüler spielen im Hof. In Panik springe ich auf und wickele meinen Kernvorrat in ein Taschentuch. Ich laufe immer schneller, mein Körper steht in Flammen. Zum ersten Mal spüre ich eine seltsame Wärme zwischen den Beinen. Kommt das von der Reibung oder von der Angst vor der strengen Lehrerin? Auf jeden Fall tut sich dort unten etwas. Ich klopfe verzweifelt an die Tür, die Lehrerin blafft mich an, und ich bleibe wie angewurzelt im Türspalt stehen.
     
    Ich werde immer noch rot, wenn ich, allein in meinem Bett, an diese ersten Regungen denke.
     
    *
     
    Ein wenig später sind wir in Holland. Mein Vater arbeitet für einen britisch-niederländischen Mineralölkonzern. Meine Brüder, meine kleine Schwester Valérie, das Kindermädchen Christina und ich wohnen im ersten Stock. Christina ist sehr schön mit ihren rotbraunen Haaren, den grünen Augen und den Sommersprossen, die ich überall da entdecke, wo ihr Körper nicht von Stoff bedeckt ist. Es ist die Zeit der Miniröcke. Sie steht auf dem Treppenabsatz und bügelt. Ich beobachte sie lange; wieder ist da dieses peinliche Gefühl unterhalb der Gürtellinie, ich werde rot und wage nicht, den Blick auf meine schrecklichen englischen grauen Flanellshorts zu senken. Haben Christinas Augen kurz aufgeblitzt? Ich bin geliefert. Dann tut das Luder etwas Eigenartiges: Sie geht um das Bügelbrett herum auf mich zu, kehrt mir den Rücken zu und beugt sich nach vorn; will sie wirklich etwas vom Boden aufheben? Wenn ich gewusst hätte, wie, wenn ich es gekonnt hätte, hätte ich sie in dem Moment genommen. Aber ich blieb da stehen, kurzatmig, mit baumelnden Armen und weniger baumelndem Rest. Der Anblick dieses ausgestellten Hinterteils dauert eine Ewigkeit.
    Sehr viel später habe ich mir Fotos von ihr angesehen. Ich fand sie nicht mehr so schön mit ihren schiefen Zähnen, dem schlaffen Körper und den knochigen Knien. Es ist alles eine Frage der Perspektive.
     
    *
     
    In der Nacht habe ich tief geatmet, um die Schmerzen loszuwerden, die mich isolieren. Bilder, schön in ihrer Einfachheit, sind mir in den Sinn gekommen. Das Leiden bleibt.
     
    *
     
    Ich bin fünfzehn. Ich will meine Kameraden beeindrucken. Ich betrete eine gutbesuchte Apotheke. Als ich an der Reihe bin, sage ich: »Ich hätte gern eine Schachtel (flüsternd) Kondome.« Die Apothekerin bittet mich, es zu wiederholen. In die Enge getrieben und schon ganz rot im Gesicht, sage ich es noch einmal. »Klein, mittel oder groß?«, fragt sie spöttisch. Ich renne aus dem Laden.
    Sie meinte natürlich die Größe der Schachtel.
     
    *
     
    Ein Lachen steigt in meiner Kehle auf, ein Krampf antwortet ihm; das Aufnahmegerät rutscht mir von der Brust. Eine entmutigte Stille tritt ein. Ich muss von vorne anfangen, mich wieder zusammenfügen.
     
    Ich rufe nach Abdel, meinem Assistenten. Er legt mir das Aufnahmegerät wieder hin. Meine dumpfe neue, mir noch fremde Stimme fängt an zu sprechen. Meine Identität bröckelt in dieser unsteten Stimme. Ich habe keine Brustmuskulatur mehr. Es gibt weder Intonation noch Zeichensetzung. Nur die Worte, für die ich ausreichend Atem ansammeln kann, werden auf dem Tonband festgehalten.
     
    *
     
    Ich bin siebzehn. Wir sind beim Wintersport. Alain, mein Zwillingsbruder, hat schon eine Freundin. Es sind Jungen da – und Mädchen; ich bin noch nie zuvor so
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