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Ziemlich beste Freunde

Ziemlich beste Freunde

Titel: Ziemlich beste Freunde
Autoren: Phillipe Pozzo di Borgo
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kippt er zur einen oder zur anderen Seite.
     
    Marcelle, die Pflegerin, ruft Abdel, meinen Assistenten, damit er mich aufs Bett legt. Er befreit meine Beine aus den Fußstützen, beugt sich vor, bis sein Kopf meinen Brustkorb berührt, presst seine Knie gegen meine und umfasst mein Kreuz mit seinen kräftigen Armen. Hopp! Er lehnt sich nach hinten und im Spiegel der noch geschlossenen Fensterläden sieht es plötzlich so aus, als ob ich stünde. Ich war einmal schön; davon ist nicht viel übrig geblieben. Das Blut fließt mir in die Zehen; ich werde wieder zum Engel. Abdel legt mich auf die Antidekubitusmatratze 8 . Marcelle beginnt mit dem, was sie lächelnd meine »Katzenwäsche« nennt. Sie nimmt den Urinbeutel ab, um die Bestie zu versorgen. Béatrice nannte sie zärtlich »Toto«. Ich höre Marcelle lachen. Toto hat sich aufgerichtet. Sie kann den Urinbeutel nicht mehr anbringen.
     
    Im Rehazentrum von Kerpape sind die Tetraplegiker die Aristokraten. Wir sind die Oberschicht, ganz nah bei Gott. Wir sehen auf die anderen herab. Wir sind die Tetras. Aber unter uns nennen wir uns die Kaulquappen, weil Kaulquappen genau wie Tetraplegiker weder Arme noch Beine haben, nur einen zuckenden Schwanz.
     
    7 Darmausräumen: Morgens, nachdem man meinen Urinbeutel ausgeleert hat, legt man mich auf die Seite, streift einen Handschuh über, taucht den Zeigefinger in Vaseline und schiebt ihn mir Sie wissen schon wo rein. Ich mag in Verhältnissen aufgewachsen sein, wo einem alles in den Hintern geschoben wurde, aber das ist dann doch zu viel. Ich schließe die Augen, während die Damen in mir herumwühlen.
    Dank an all die Marcelles, Berthes, Paulines, Catherines, Isabelles, Sabryas, Sandrines … für ihre Fingerfertigkeit und ihre Freundlichkeit. Ich bin der, der am ausgestreckten Zeigefinger am Leben erhalten wird.
     
    8 Dekubitus: Wundliegegeschwür.

ERSTER TEIL    Goldene Kindheit

Geboren …
    Als Sprössling der Herzöge Pozzo di Borgo und der Marquis von Vogüé wurde ich mit einem silbernen Löffel im Mund geboren.
    Carlo Andrea Pozzo di Borgo, mein Urahne, distanziert sich während der Schreckensherrschaft von seinem Freund Napoleon. In sehr jungen Jahren wird er Generalprokurator der Insel Korsika, die unter englischem Protektorat steht. Er muss ins Exil nach Russland, von wo er, aufgrund seiner persönlichen Bekanntschaft mit dem korsischen »Ungeheuer«, zum Sieg der Monarchien beiträgt. Carlo Andrea Pozzo di Borgo lässt sich seinen Einfluss auf den Zaren teuer bezahlen und häuft ein Vermögen an. Herzöge, Grafen und andere von der Französischen Revolution hinweggefegte Europäer lohnen es ihm reichlich, dass er sich für die Erstattung ihres Besitzes und die Rückkehr in ihre Ämter einsetzt. Ludwig XVIII. wird sogar von Pozzo sagen, dass der ihn »am teuersten zu stehen gekommen« sei. Dank kluger Allianzen vererben die Pozzos die Barschaft von einer Generation zur nächsten weiter und retten sie so bis ins gegenwärtige Jahrhundert. Im korsischen Gebirge heißt es noch heute: »reich wie ein Pozzo«.
     
    Mein Großvater Joseph, genannt Joe, Herzog Pozzo di Borgo, heiratet eine reiche Amerikanerin. Ihre Enkel nennen sie später Granny. Großvater Joe hat immer mit großem Vergnügen erzählt, wie es 1923 zu ihrer Eheschließung kam. Seine zukünftige Frau ist zwanzig Jahre alt, als sie zusammen mit ihrer Mutter durch Europa reist, um nach einer guten Partie Ausschau zu halten. Die beiden Damen machen die Bekanntschaft eines korsischen Aristokraten. Granny ist einen Kopf größer als er. Bei einem Essen auf seinem Adelssitz, dem Schloss von Dangu in der Normandie, sagt die Mutter quer über die riesige Tafel hinweg auf Amerikanisch (alle anderen verstehen sie natürlich trotzdem) zu ihrer Tochter: »Findest du nicht auch, Liebling, dass der Herzog, den wir gestern getroffen haben, ein viel schöneres Schloss hat?« Doch Granny entscheidet sich für den kleinen Korsen.
     
    Als 1936 die Linken an die Macht kommen, landet Joe Pozzo di Borgo hinter Gittern, weil er angeblich dem Geheimbund La Cagoule angehört , einer Bande ultrarechter Verschwörer, die wild entschlossen ist, die Republik zu stürzen. Völlig zu Unrecht. Doch er nimmt es mit Humor. Als er während seiner Zeit im Gefängnis Santé Besuch bekommt, scherzt er: »Das Ärgerliche am Gefängnis ist, dass man sich so schlecht verleugnen lassen kann!«
    Der korsische Klan der Perfettini, der seit unserem Exil in Russland die Interessen unserer
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